Berliner Off-Szene: Menschen, Tiere, Emotionen

Engel lassen sich derzeit im Tanztheater blicken. Einer dieser himmlischen Boten ist in der „Halle“ Tanzbühne gelandet. Die Choreografin Toula Limnaios und der Komponist Ralf R. Ollertz feiern das 25-jährige Berlin-Jubiläum ihrer Compagnie mit der Kreation „Staubkinder“. Daniel Afonso kehrt dem Publikum anfangs seine Rückseite mit den gefiederten Flügeln zu – ein etwas kitschiges Bild.

Toula Limnaios hat sich nicht nur von der Musik Gustav Mahlers inspirieren lassen, sondern auch von dem jüdischen Philosophen Walter Benjamin. 1921 erwarb er ein Bild von Paul Klee: Aus dem „Angelus Novus“ wurde bei Benjamin der „Engel der Geschichte“ . Der Engel in „Staubkinder“ lässt eher an Wim Wenders’ Film „Himmel über Berlin“ denken. Sieben Tänzer:innen umkreisen Daniel Afonso, legen sich ihm erst zu Füßen und brechen dann seine Schwingen ab. Afonso beginnt zu zucken, er taumelt über die Bühne – seiner spirituellen Kräfte beraubt wird auch er eines der Staubkinder, die hier ganz der Erdenschwere ausgeliefert sind.

Limnaios choreografiert zum ersten Mal zu Musik Mahlers. Sie hat den vierten und sechsten Satz der 3. Sinfonie ausgewählt – was sehr mutig ist. Ralf Ollertz komponierte dazu als Vor- und Zwischenspiel eine elektronische Klangcollage mit verfremdeten Stimmen. Wenn das Alt-Solo „O Mensch! Gib acht“ – eine Vertonung von Friedrich Nietzsches „Mitternachtslied“ – erklingt zieht es die Tänzer:innen mit Macht zu Boden. Sie lassen sich auch später nicht davontragen von den opulenten Orchesterklängen.

Rauschhafte Musik

Limnaios setzt den musikalischen Stimmungen eine oft harte und raue Bewegungssprache entgegen. Die ist schon mal mal expressiv aufgeladen durch die Hoch-tief-Kontraste, das Zum-Himmel-Blicken und die wiederholten Stürze. Die schlagenden oder werfenden Bewegungen, das Tanzen mit einem Stein in der Hand sind dann aber nur bedingt aussagekräftig. Die Musik rauscht dann über die Körper hinweg.

Die Duette, meist von einem Mann und einer Frau getanzt,sind rabiat. Zu sehen ist der Widerstreit der Körper. Die Frauen werden herumgeschleudert und über den Boden geschleift. Furios ist das Duett von Daniel Afonso und Laura Beschi. Sie umklammert ihn, er drückt sie zu Boden, hebt mit dem Fuß ihren Körper an wie ein Objekt. Geradezu sanft mutet die Szene an, in der Francesca Bedin und Leonardo d’Aquino von je drei Tänzer:innen umringt, die ihren Rock und seine Jacke zum Flattern bringen. Inmitten des Sturms schmiegen die beiden für einen innigen Moment ihre Köpfe aneinander. Solch zärtliche Szenen sind rar.

Fuchsbau  ist ein Theatererlebnis zwischen Kulturgeschichte und Verhaltensbiologe
Fuchsbau  ist ein Theatererlebnis zwischen Kulturgeschichte und Verhaltensbiologe
© Post Theater

Am Schluss des sechsten Satzes bricht die Musik abrupt ab. Limnaios zeigt keine Apotheose der Liebe; stattdessen sieht man ein desolates Häuflein Menschen. Die Tänzer:innen rempeln und drängeln; wenn einer vorangehen will, wird er zurückgezerrt. „Staubkinder“ ist ein geschichtspessimistisch grundiertes Stück, das nicht ganz ausgereift ist. Die ausdrucksstarken Tänzer:innen vermögen aber immer wieder zu fesseln.

Aus New York nach Berlin

Das Post Theater wurde 1999 in New York, gegründet, 2002 zog es in die deutsche Hauptstadt. Ihre ersten 20 Jahre in Berlin feiern Hiroko Tanahashi und Max Schumacher nun mit der neuen Produktion „Fuchsbau“ im TD Berlin. Das Künstlerpaar hat ein multimediales Theater-Labyrinth in den Räumen des ehemaligen Fernmeldeamtes Ost gebaut.

Nur fünf Personen sind pro Vorstellung zugelassen. Der Regisseur händigt den ihnen Kopfhörer aus und erklärt die Spielregeln; sie seien wie Dackel, die in einen Fuchsbau eindringen, gibt er den Zuschauern mit auf den Weg. Durch stoffverhangene Tunnel tastet man sich vorwärts und lauscht den musikalisch untermalten Fabeln. Füchse sind sagenumwobene Tiere; sie gelten als schlau und listig, aber auch als raffgierig und hinterhältig.

Ausgefuchste Füchse

Das Post Theater hat sich von Mythen und Märchen aus verschiedenen Kulturkreisen inspirieren lassen. Die werden hier aber einer kritischen Lesart unterzogen – und zwar von den Fuchswesen selbst, denen man in kleinen Höhlen begegnet. Mary Ye Myint, eine charmante Stadtfüchsin, die das Verhalten der Menschen studiert hat, beklagt sich darüber, dass die Füchse immer als so gemein darstellt werden.

Gebannt folgt man dann der Erzählung von den japanischen Kitsune, den dämonischen Fuchsgeistern, die die Gestalt einer schönen Frau annehmen und Herrscher zu Fall bringen. In einer dunklen Höhle kommt einem diese neunschwänzige Kyubi ganz nahe. Reineke Fuchs beschwert sich, dass Goethe ihn zur Herrscherkritik missbraucht hat. Auch ein Fall von erotischer Fuchsbesessenheit ist zu bestaunen. „Fuchsbau“ ist ein Theatererlebnis zwischen Kulturgeschichte und Verhaltensbiologe. Nach diesem fantasievollen und lehrreichen Exkurs sieht man die Füchse mit anderen Augen und blickt zudem kritisch auf die menschliche Spezies.

Zur Startseite