Die Fanprojekte blicken gebannt nach Karlsruhe: „Der präventive Ansatz wird unmöglich gemacht“
Bei Hertha BSC geht der Blick schon aus Tradition häufiger Richtung Karlsruhe. Das liegt vor allem daran, dass die beiden aktuellen Fußball-Zweitligisten Hertha und KSC seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Fanfreundschaft pflegen. Mit dieser Freundschaft aber hat der Fall, der auch in Berlin auf einige Aufmerksamkeit stößt, nichts zu tun. Es geht um mehr.
Am kommenden Montag müssen sich zwei Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin des Karlsruher Fanprojekts vor dem Amtsgericht Karlsruhe verantworten. Sie sollen Aussagen zu ihrer sozialen Arbeit mit Fans des KSC machen, die sie bisher verweigert haben. Bereits zweimal wurde gegen sie ein Ordnungsgeld verhängt, am Montag nun geht es um eine mögliche Beugehaft von einem halben Jahr.
„Das hat mich sprachlos gemacht“, sagt Donato Melillo, Direktor Fan- und Mitgliederservice von Hertha BSC. Denn Karlsruhe ist in diesem Fall nur scheinbar weit weg von Berlin. Melillo fürchtet „Auswirkungen auf die soziale Fanarbeit in ganz Fußballdeutschland“. Auch Ralf Buch vom Fanprojekt Berlin ist besorgt. „Das treibt uns um“, sagt er über den Prozess in Karlsruhe. Bundesweit werde der Fall beäugt, weil es im Prinzip jeden treffen könne.
Auslöser des Ganzen war der massive Einsatz von Pyrotechnik beim Heimspiel des KSC gegen St. Pauli im vergangenen November. Eine Karlsruher Ultragruppierung feierte auf diese Weise ihr 20-jähriges Bestehen. Auf der Südtribüne des Wildparkstadions wurden bengalische Fackeln, Rauchtöpfe, Böller und Silvesterraketen gezündet. Elf Personen kamen dabei zu Schaden. Sie klagten über Atemprobleme, Augenbrennen, starke Hustenanfälle, Halskratzen, Kopfschmerzen oder Übelkeit.
Das geht einen Schritt zu weit, wenn nicht mehrere.
Ralf Busch, Leiter Fanprojekt Berlin, über die Staatsanwaltschaft Karlsruhe
Weil die Ultras selbst erkannten, dass ihre Aktion aus dem Ruder gelaufen war, nahmen sie an einem sogenannten Wiedergutmachungsgespräch teil, das unter Vermittlung des Vereins und des Fanprojekts zustande kam. Für die Staatsanwaltschaft aber war die Angelegenheit damit längst nicht erledigt. Sie ermittelt wegen des Freisetzens von Giftstoffen und sogar organisierter Kriminalität, da es sich bei den Ultras um eine organisierte Gruppe handelt.
Im Zuge der Ermittlungen wurden auch die drei Mitarbeiter des Fanprojekts vernommen, die an dem Wiedergutmachungsgespräch teilgenommen hatten. Mit Verweis auf ihre Tätigkeit als Sozialarbeiter verweigerten sie die Aussage, erst recht, als sie das Gefühl hatten, dass es gar nicht mehr allein um den konkreten Fall ging, sondern um Strukturen innerhalb der Fanszene.
„Das geht einen Schritt zu weit, wenn nicht mehrere“, sagt Busch, der seit 1990 für das Fanprojekt Berlin arbeitet und es seit 30 Jahren leitet. Die Beweggründe der Strafverfolgungsbehörden in Karlsruhe kenne er nicht, aber ihr Vorgehen hält er für „ungewöhnlich und eigentlich auch nicht richtig nachvollziehbar“. Es gehe nicht darum, Fehlverhalten oder eventuelle Straftaten schönzureden, aber „alles, was unsere Arbeit ausmacht, basiert auf einem Vertrauensverhältnis“.
Deshalb zum Beispiel enthält sein Arbeitsvertrag eine Pflicht zur Verschwiegenheit. Ein generelles Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter aber existiert in Deutschland nicht. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft argumentiert daher, sie sei „verpflichtet, Straftaten aufzuklären und sich hierzu aller in Betracht kommenden Beweismittel zu bedienen“.
Kein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter
Busch hat in seiner jahrzehntelangen Arbeit immer wieder mal erlebt, dass Kolleginnen oder Kollegen über ihre Arbeit aussagen sollten. Aber die Rigorosität, mit der die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe vorgeht, ist neu für ihn. „So verfahren und so weit fortgeschritten, bis hin zur Androhung von Beugehaft, ist das schon ein Präzedenzfall“, sagt Busch.
Selbst Michael Becker, der Geschäftsführer des KSC, hat die Ermittlungsbehörden darum gebeten, „dass die besondere Stellung der Sozialarbeiter bei der Aufarbeitung der Geschehnisse berücksichtigt wird“.
Busch verweist auf das „Nationale Konzept Sport und Sicherheit“, in dem explizit von der „Teilhabe an der Lebenswelt der Zielgruppe“ die Rede sei. „Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe macht die Teilhabe an der Lebenswelt der Zielgruppe unmöglich“, sagt er. „Dadurch wird der ganze präventive Ansatz erschwert, wenn nicht sogar verhindert.“
Wilfried Grüßinger äußert sich ähnlich. „Dass die Prävention der Repression geopfert wird, das finden wir nicht gut“, sagt er. „Unser Wunsch wäre, dass man die soziale Arbeit respektiert und unsere Mitarbeitenden aus der Angelegenheit raushält.“ Grüßinger ist Fachbereichsleiter Offene Kinder- und Jugendarbeit beim Stadtjugendausschuss Karlsruhe und damit der direkte Vorgesetzte der drei Fanprojekt-Mitarbeiter, die sich am Montag vor Gericht verantworten müssen.
„Wir sind in der Sache bei ihnen“, sagt Grüßinger. Doch ob sie in der Verhandlung aussagen werden, das sei ihre persönliche Entscheidung. Als Arbeitgeber habe man lediglich eine Empfehlung ausgesprochen. „Eigentlich wollen wir nicht, dass sie wegen ihrer Arbeit in Schwierigkeiten geraten. Uns wäre es lieber, wenn sie aussagen“, erklärt er. Ob sie das auch tun werden, sei „noch offen“.
In Berlin gibt es aktuell keine Hinweise, dass der Karlsruher Weg Nachahmer findet. „Wir haben einen ganz guten Umgang miteinander“, sagt Ralf Busch. Man tausche sich aus, kenne die unterschiedlichen Rollen. „Aber die Fanszenen sind untereinander vernetzt“, erklärt er. „Das Thema wird auch in Berlin diskutiert, und das führt auch hier zu Unsicherheiten.“