Kein Freifahrtschein für junge Kicker: Cristian Fiéls Spielidee lässt Hertha BSC hoffen
Die Tinte unter dem verheißungsvollen Zweijahresvertrag war noch nicht einmal getrocknet, da schaltete Cristian Fiél prompt in den Chefmodus. „Trainingsauftakt ist vorverlegt. Übermorgen geht’s los“, posaunte Herthas neuer Trainer unmittelbar nach seiner Unterschrift und mit einem Augenzwinkern durch den Büroraum. Am liebsten hätte der 44-Jährige sofort sein Sakko in die Ecke geschmissen und losgelegt. „Von mir aus könnten wir morgen das erste Spiel machen“, erklärte Herthas neuer Hoffnungsträger.
Aufbruchstimmung erzeugen in nur wenigen Sekunden, das ist Fiél auf jeden Fall gelungen. Wie lange diese Euphorie anhält und ob sie die Berliner auch wieder zurück in die Fußball-Bundesliga trägt, wird sich erst zeigen. „Alle wünschen sich, Hertha irgendwann wieder in einer anderen Liga zu sehen. Das ist Zukunftsmusik, aber ich freue mich auf diese Challenge“, verkündete der Spanien-Deutsche optimistisch. Das Feuer lodert in ihm.
Kein Freifahrtschein für Talente
Schon an seinem ersten Tag inspizierte der Neue bei der Alten Dame jede Ecke. Von der Akademie über die Kabine der Profis bis hin zum Schenckendorffplatz: Benjamin Weber und „Zecke“ Neuendorf führten Fiél nahezu über das gesamte Olympiagelände. Hände schütteln, Gespräche führen, Eindrücke sammeln.
Bei Hertha erwartet Fiél ein mit eigenen Talenten gespickter Kader. Dem gebürtigen Esslinger, der ohnehin als Nachwuchsförderer gilt, bleibt gar nichts anderes übrig, als den Weg der wirtschaftlichen Konsolidierung bedingungslos mitzugehen und auch auf Profis aus der eigenen Akademie zu setzen. Einen Freifahrtschein für junge Kicker gibt es aber nicht. „Das Alter ist egal. Wenn ein 33-Jähriger performt und ein 21-Jähriger nicht, dann spielt der 33-Jährige. Letzten Endes geht es nur um Qualität“, schickte Fiél als Botschaft an seine Spieler, die aktuell im Urlaub oder bei ihren Nationalteams sind.
Dominant, aktiv, offensiv
Wenn Fabian Reese und Haris Tabakovic zurückkehren, erwartet sie ein anderer Fußball. Verfolgte Vorgänger Pal Dardai eher einen reaktiven Ansatz, ist Fiél ein Verfechter von dominantem, aktivem Offensivfußball. „In Ballbesitz sein, kreieren, Chancen herausspielen“, sagte er über seine Idee von Fußball, die bei Sportdirektor Benjamin Weber viel Zuspruch erfährt. „Wir haben nach einem Trainer gesucht, der mutigen und offensiven Fußball spielen lässt“, äußerte der 41-Jährige.
Die Erwartung an Fiél ist hoch. Dass Hertha eine Ablöse von rund einer halben Million Euro gezahlt haben soll, erhöht den Druck. Rund zweieinhalb Wochen bleiben Cristian Ramon Fiél Casanova, wie der frühere Nürnberg-Coach mit vollem Namen heißt, zur Eingewöhnung. Am 24. Juni starten die Saisonvorbereitung und die Mission Wiederaufstieg. Spätestens dann wird Fiél mit allen Herausforderungen konfrontiert, die den Traditionsclub aus dem Berliner Westen ausmachen.
So beschaulich wie in Nürnberg wird es an der Spree jedenfalls nicht. Fiél erwartet ein deutlich aufbrausenderes Umfeld. Debatten über wirtschaftliche Konsolidierung oder einen womöglich zahlungsunfähigen Investor 777 Partners eröffnen Nebenschauplätze, die auch den Trainer in seiner täglichen Arbeit beeinflussen können. Clublegende Dardai konnte diese Themen mit einem lockeren Spruch und seiner Berliner Schnauze gut parieren. Der Ungar ist immer noch das Gesicht des Berliner Weges. Fiél will es werden. (dpa)