Zwischen Käfig und Medizinstudium: Anna Gaul kämpft gegen den umstrittenen Ruf vom MMA
Für viele ist Mixed Martial Arts der Inbegriff von purer Gewalt. Tätowierte Schlägertypen, dicke Muskeln und blutig-gebrochene Nasen – mit diesen Dingen wird der Sport, kurz auch MMA genannt, häufig in Verbindung gebracht. Der Kampfsport hat einen umstrittenen Ruf, vor allem in Deutschland, wo mehrere Jahre lang ein striktes Übertragungsverbot der UFC herrscht, der amerikanischen Ultimate Fighting Championship.
Gerade deswegen wirkt die 24-jährige Anna Gaul auf den ersten Blick gar nicht, als hätte sie irgendetwas mit dem Sport zu tun. Ruhig sitzt sie in einem Steglitzer Café und schreibt in ihr Notizbuch. Was man ihr dabei nicht ansieht – im achteckigen MMA-Käfig wurde sie bereits zur Junioren-Weltmeisterin und Europameisterin gekürt.
MMA vereint unterschiedliche Kampfsportstile
Gaul weiß, dass an ihrem Sport viele Vorurteile haften. „Das größte ist vermutlich, dass es im MMA keine Regeln gibt“, sagt sie, „aber das stimmt so nicht.“ Erst seit den Neunzigern existiert der Vollkontaktsport, der unterschiedliche Kampfsportstile wie das Boxen, Ringen, Judo oder Grappling in einem Kampf vereint.
Die meisten Kämpferinnen und Kämpfer starten nicht gleich mit MMA, sondern kommen häufig aus anderen Grund-Kampfsportarten. So fing auch Gaul mit 13 Jahren zunächst mit dem Jiu-Jitsu Budokai an. Erst mit 18, nach einem Auslandsaufenthalt in Irland, entschied sie sich für den MMA-Sport.
„Dabei lässt sich zwischen Profi- und Amateurbereich unterscheiden“, erklärt Gaul. Je nachdem, wo man kämpft, gibt es eine größere oder kleinere Zahl von Regeln. „Für uns Amateure zum Beispiel sind Dinge wie Ellbogenstöße, Knie zum Kopf, Schläge auf den Hinterkopf und bestimmte Fußhebel verboten. Außerdem kämpfen wir mit dickeren Handschuhen als die Profis.“ Der Verstoß gegen Regeln werde mit Minuspunkten, im schlimmsten Falle mit einer unumgänglichen Disqualifizierung bestraft. „Da sind die Schiedsrichter sehr streng“, sagt Gaul.
Die 24-Jährige trainiert im Amateurbereich, was jedoch kein Indiz dafür ist, dass sie schlechter kämpft als die Frauen im Profibereich. „Ganz im Gegenteil“, betont Gaul, „gerade auf internationaler Bühne gibt es viele Amateure, die besser kämpfen als einige Profis.“ Mit ihrer sportlichen Leistung könnte Gaul mit Sicherheit zu den Profis wechseln, das möchte sie aber aktuell noch nicht: „Ich fühle mich wohl im Amateurbereich. Ich bin auch kein großer Fan von riesigen Shows, Interviews und dem großen Drumherum, wie man es im Profibereich oft findet.“
Bei den großen Shows habe ich oft das Gefühl, dass der Sport nicht mehr das ist, was im Vordergrund steht.
Anna Gaul, MMA-Kämpferin
Große Events, Ruhm, eine Menge Kohle – das erhoffen sich viele, die vom MMA-Profisport träumen. In amerikanischen Käfigen sind manche bereits zu Millionären geworden. Dieses Ziel verfolgt Gaul nicht. Sie plant nicht, von dem Sport zu leben, möchte auch nicht ihr ganzes Leben mit der Öffentlichkeit teilen. „Bei den großen Shows habe ich oft das Gefühl, dass der Sport nicht mehr das ist, was im Vordergrund steht“, sagt sie.
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Jedoch ist das nicht der einzige Grund, warum Gaul den Sport nicht zu ihrem Beruf machen möchte. Eigentlich möchte sie später einmal als Ärztin arbeiten, sagt sie. An der Charité in Berlin studiert die 24-jährige Medizin. Sie hat bereits ihr zweites Staatsexamen hinter sich und befindet sich momentan im Praktischen Jahr ihres Studiums.
Tagsüber in der Klinik, abends auf der Matte
„Oft habe ich sehr volle Tage“, sagt Gaul über ihren derzeitigen Alltag. Den ganzen Tag in der Klinik, teilweise stundenlanges Stehen während Operationen, abends Training – das kann eine hohe körperliche Belastung sein.
In der wenigen freien Zeit, die ihr bleibt, setzt sie sich gerne in das Steglitzer Café, das nur wenige Busstationen von ihrer Kampfschule entfernt ist.
„In der Sportschule Rahn trainieren wir Sportler im hochklassigen Amateurbereich“, sagt Thorsten Preiß, Gauls Trainer. Seiner Meinung nach sei es schlau, sich wie Gaul nicht allein auf den Sport zu verlassen. „Es ist ein Risiko, wenn man von dem MMA leben möchte“, sagt er, „ein Kreuzbandriss bedeutet dann oft, dass man ein Jahr keinen Cent verdient.“
Beobachtet man Gaul beim Training, passt das für viele nicht mit dem Bild der ehrgeizigen Medizinstudentin zusammen. Mit Mundschutz und Boxhandschuhen trainiert sie auf der rot-glänzenden Matte der Sportschule, sie deutet energische Schläge und Tritte an. Oft werde sie gefragt, wie ihre beide Welten – das Medizinstudium und der Kampfsport – überhaupt zusammenpassen. Schließlich gehe sie mit der Intention in den Käfig, ihrer Gegnerin wehzutun.
„Ich gehe zwar mit dem Ziel in den Kampf, meine Gegnerin zu hebeln, würgen und zum Aufgeben zu bringen. Ich möchte der Person aber nicht den Arm brechen oder sie stark verletzen. Ich gebe ihr die Chance, abzuklopfen“, sagt sie.
Wenn du mit Angst und Unsicherheit in den Kampf gehst, kann das 50 Prozent deiner Leistungsfähigkeit ausmachen.
Anna Gaul, 24-jährige MMA-Kämpferin
Hinter dem Sport steckt weitaus mehr als knallharte Gewalt. „Was viele Zuschauende von außen nicht sehen, ist die Mentalität, von der deine sportliche Leistung abhängig ist. Wenn du mit Angst und Unsicherheit in den Kampf gehst, kann das 50 Prozent deiner Leistungsfähigkeit ausmachen“, sagt Gaul. Es ändere viel, wenn man in seine Techniken vertraut. Gerade aus diesem Grund bezeichnet die Sportlerin MMA lieber als einen sehr technischen als einen sehr brutalen Sport.
MMA-Taktiken sind im Grunde ganz einfache Prinzipien, erklärt Gaul. Beim Würgen könne man zum Beispiel entweder die Blutzufuhr zum Kopf oder die Sauerstoffzufuhr einschränken. „Das macht man, indem man den Kopf-Hals-Bereich verengt. Ob mit den Armen oder Beinen, das ist egal.“
Dass der Sport auch in Deutschland langsam in der Mitte der Gesellschaft ankommt, das merkt Gaul. Vor einigen Jahren habe sie vielen Menschen noch erklären müssen, was MMA überhaupt ist. Seitdem habe sich viel getan. „Ich denke, Kampfsport generell hat gerade einen großen Hype. Vieles schwappt aus Amerika über.“
Trotzdem hänge Deutschland, was die Finanzierung des Sports betrifft, noch ziemlich hinterher. Während viele andere Länder große und staatlich finanzierte Teams haben, stehe Deutschland im Vergleich dazu mit einem kleineren und selbst finanziertem Team da. „Das kann eigentlich nicht sein“, findet Gaul.
Im Moment ist Gaul noch auf dem Weg, sich nach ihrer Verletzung, einem Kreuzbandriss vor etwa zwei Jahren, langsam zurück in den Käfig zu kämpfen. Als Ziel hat sie sich die Europameisterschaften im nächsten Jahr vorgenommen.