Zukunft manipulieren: Alistair Hudsons Vision für das ZKM
Herr Hudson, Sie haben bei Grizedale Arts im Lake District, am Middlesbrough Institute of Modern Art, in der Galerie in Manchester und in Karlsruhe gearbeitet. Sie scheinen keine Hauptstädte zu mögen?
Jenseits der Hauptstädte ist es einfacher, etwas Neues auszuprobieren. Der Druck auf die Großstadt-Institutionen ist enorm. Ich denke, dass man an Orten wie Karlsruhe deutlich mehr experimentieren kann. Man kann mehr spielen, man kann sich mehr erlauben.
Sie stehen für das Konzept der „useful art“, was übersetzt so viel wie „nützliche Kunst“ bedeutet. In einem Interview mit dem Londoner „Guardian“ sagten Sie sogar, Kunstinstitutionen sollten zeigen können, dass sie genauso relevant sind wie Krankenhäuser. Hat sich ihr eigenes Verständnis von Kunst oder ihrem Verständnis einer Kunstinstitution während der Pandemie noch einmal verändert?
Mein Verhältnis zur Kunst hat sich durch die Pandemie wenig verändert. Ich glaube an die Kraft der Kunst, sie ist wichtig und stärkt uns. Als ich zum Beispiel in einem Museum ein Kinderentwicklungszentrum einrichtete, bestätigten die Ärzte, dass die Vorteile für die Familien und Kinder enorm seien. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Welt eine bessere wäre, wenn alle Prozesse in einem kreativeren, künstlerischen Umfeld ablaufen würden.
Wie wollen Sie diesen Ansatz als Leiter des ZKM nutzen?
In gewisser Weise ist es das, was mich hier hergebracht hat. Ich sehe in der Zusammenarbeit von Kunst, Wissenschaft und Technologie die Chance, unsere Zukunft, unsere Welt anders und besser zu gestalten. Ich hatte hier in Karlsruhe bereits Gespräche mit Wissenschaftlern und Vertretern aus der Industrie, die ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen haben. Mein Ziel ist es, hier im ZKM verschiedene Weltanschauungen und Kompetenzen zusammenbringen, um einen Wandel hin zu einer nachhaltigeren Zukunft zu bewirken.
Werden Sie die Themen in Ausstellungen vermitteln?
Ehrlich gesagt denke ich seit einiger Zeit darüber nach, Ausstellungen zu beenden. Nicht, dass ich keine Ausstellungen mag, ich liebe Ausstellungen. Aber das Format „Ausstellung“ wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Vorher gab es 40.000 Jahre der Menschheitsgeschichte, in denen die Kunst nicht auf Ausstellungen angewiesen war. Sie funktionierte im alltäglichen Leben, in Ritualen, in der Religion, in Form von Design oder Architektur.
Das ZKM ist kein Museum, keine Galerie, das Gebäude selbst ist nicht wirklich für Ausstellungen geeignet, es ist ein riesiger Industriebau. Genau deswegen eignet er sich als Produktionszentrum für Experimente und Innovation und um Menschen zusammenzubringen. Ich möchte das ZKM zu einem Laboratorium machen, das Ideen in die Welt einbringt und Aktivitäten anderer Menschen in der Welt unterstützt.
Aber was werden Besucher konkret im ZKM sehen?
Mir geht es weniger darum, Menschen zum Zuschauen einzuladen. Es geht mir darum, die Leute einzuladen, gemeinsam etwas zu machen, zu gestalten. Im Idealfall beteiligt sich das ZKM an dem, was die Menschen in Karlsruhe tun, und nicht sie an dem, was wir tun. Wir müssen uns als Interessengruppen formieren und unsere Arbeit auch so gemeinsam angehen. Es gibt ganz unterschiedliche „Communities“ in Karlsruhe, die alle zusammenkommen und gemeinsam Ideen entwickeln können. Darin sehe ich ein großes Potenzial.
Sie haben diesen Ansatz in anderen Städten getestet, unter anderem im MIMA, einem Kunstzentrum in einer ehemaligen Industriestadt im Norden Englands. Ist ihr Ansatz dort aufgegangen?
Er hat gut funktioniert. Die Menschen haben nach meiner Zeit die Institution anders gesehen. Als ich anfing, waren viele Leute gegen die Institution, die lokale Zeitung berichtete negativ über das MIMA. In der Stadt herrschte wirklich eine antielitäre, eine Anti-MIMA-Stimmung. Es ging also wirklich darum, die Art und Weise zu ändern, wie die Menschen die Kunstinstitution sehen.
Tatsächlich ist uns dies gelungen, indem wir völlig neue Angebote gemacht haben. So haben wir mit den Menschen Ausstellungen gemacht, gemeinsame Mahlzeiten organisiert, in den Flüchtlingsunterkünften geholfen, Unternehmen zu gründen, uns an der Entwicklung von Sozialwohnungen beteiligt und Programme zur Behandlung von Problemen der psychischen Gesundheit gemacht haben. Nach und nach haben Menschen aus vielen verschiedenen gesellschaftlichen Umfeldern begonnen, zu erkennen, wie dieses Museum für sie von Nutzen sein könnte.
Wie nehmen sie die Kunstszene in Deutschland wahr?
Sie unterscheidet sich sehr von Großbritannien, wo die Kultur sehr engagiert mit der breiten Öffentlichkeit an der Schnittstelle zu sozialen Aufgaben arbeitet. In Großbritannien gibt es einen großen Druck, die öffentlichen Gelder zu rechtfertigen, sodass die Kultur mit vielen Ideen einen sozialen Beitrag für alle Schichten leistet. Das führt zu einer ganz anderen Dynamik. In Deutschland scheinen die Institutionen in gewisser Weise stabiler. Die Menschen denken und arbeiten auch weit mehr in Hierarchien. Und es gibt derzeit noch weniger „Community Outreach“-Programme.
Wir beobachten gerade in jeder Hinsicht eine starke gesellschaftliche Polarisierung – auch in Hinblick auf den wieder entflammten Konflikt im Nahen Osten. Sind Sie besorgt?
Ja. Die gesellschaftlichen Polarisierungen sehen wir überall. Und ja: Aktuell besorgen mich die katastrophalen Ereignisse in Israel und Palästina und die weltweiten Reaktionen darauf sehr. Die Spaltungen drücken sich hier in einem zunehmenden Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und auch einem zunehmenden Antisemitismus aus. Ich bin tief schockiert über den völligen Mangel an Empathie.
Technologien haben Rückkopplungsschleifen geschaffen und die Menschen in Blasen eingeschlossen.
Alistair Hudson, Kurator und Museumsdirektor
Woher kommt dieser Mangel an Empathie?
Die Polarisierung hat meines Erachtens viel mit der Technologie zu tun und mit der Art und Weise, wie die Technologie diese ständigen Rückkopplungsschleifen geschaffen hat und die Menschen in Blasen einschließt. Auch Kultureinrichtungen sind in ihren Blasen gefangen. Ich hoffe sehr, dass das ZKM auch in dieser Hinsicht ein visionärer Raum werden kann, der diesem polarisierenden Dynamiken entgegenwirkt.
Warum setzen Sie dabei so stark auf Technologie?
In meinen Augen laufen wir Gefahr, uns alle zu sehr in unseren politischen Überzeugungen zu verlieren, viele von uns kämpfen, streiten derzeit ständig. Wenn wir uns mehr auf die technologischen Werkzeuge konzentrieren, die wir benutzen, können wir vielleicht auch hier einen anderen Weg einschlagen. Und ich denke, wir müssen alle auch wieder mehr lernen, mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen, ohne Gewalt anzuwenden.
Am Ende ist die Frage, wessen Kultur die richtige ist oder wessen Kultur die stärkere ist, ist ein defensiver Modus. In der technologischen Arena geht es nur um die Zukunft. Es geht nicht um die Vergangenheit. In der Technologie haben wir die Chance, die Zukunft zu manipulieren. Das ist für mich ein viel produktiveres Arbeiten.
Auch die neuen Technologien sind mit Ängsten verbunden …
Ja. Tatsächlich gibt es diese Angst vor der Künstlichen Intelligenz, Bio-Tech oder andere neue Technologien, die noch erfunden werden. Ich glaube, viele haben Angst davor, nicht genau zu wissen, wie sie funktionieren, was sie tatsächlich tun und können, wer sie kontrolliert. Ich würde auch dies gerne hier im ZKM angehen und Menschen dahin bringen, dass sie das Gefühl haben, die Technologie im Griff zu haben und nicht die Technologie den Menschen. Wenn wir uns hier zudem global zusammenschließen, kann man vielleicht auch mehr ethische Gedanken in das System einspeisen.
Welches Projekt ist ihr Höhepunkt im nächsten Jahr? Worauf können sich Besucher des ZKM freuen?
Das Schlüsselprojekt für das nächste Jahr ist „Fellow Travellers“, das in gewisser Weise das Leitmotiv für das gesamte Programm darstellt. Es ist als eine sich ständig weiterentwickelnde Reihe von Projekten konzipiert. Sie alle zeigen, wie Menschen und Gemeinschaften auf der ganzen Welt Technologie für den sozialen Wandel nutzen, und in diesem Raum Ideen austauschen und gemeinsam lernen.
Für mich ist das die Gründungsidee des ZKM als „elektronisches Bauhaus“, in dem wir praktisch dazu beitragen, die Welt positiv zu gestalten.