Elton John und Brandi Carlile: Ganz großer Rock-’n’-Roll-Zirkus

Sphärisch schwirrende Sounds, durchwirkt mit Synthie-Geglitzer. Dann setzen pumpende Beats ein. Dann dröhnt es mächtig, ein jaulendes E-Gitarren-Solo beginnt. Dann kommt ein muskulöses Schlagzeug hinzu. Dann säuselt ein Chor „Aaah“ und „Oooh“. Dann klimpert ein Klavier. Und dann, endlich, fangen die beiden Rockstars an zu singen.

So, mit einem zweiminütigen Instrumental-Intro, startet „The Rose of Laura Nyro“, Auftaktstück des gerade erschienenen Albums „Who Believes in Angels?“ von Elton John und Brandi Carlile. Pompöser geht es kaum. Lustvoll und laut wird dem Bombast-Pop und Schweine-Rock der Siebzigerjahre gehuldigt.

Liebe ohne Leiden

Elton John und Brandi Carlile singen synchron, später wechseln ihre Stimmen einander ab. Gewidmet ist der Song Laura Nyro, einer New Yorker Singer/Songwriterin, die 1997 starb. Elton John verehrt sie seit Langem.

Das Titelstück „Who Believes in Angels?“ ist eine mächtig aufbrausende Powerballade, getragen von einer simplen Klaviermelodie und feierlichen Geigen. Carlile singt von einer Liebe, die ein Leben lang bleiben möge, John antwortet ihr.

„Even the diamonds look like rocks to the untrained eye“, heißt es im Text, „what does it cost to buy your soul back when you die?“ Todesgedanken und eine Weisheit, die man auf einem Porzellanteller an die Wand hängen könnte: Für das ungeübte Auge sehen Diamanten wie Steine aus.

Aufgenommen wurde das Album bereits Ende 2023 in einem Studio in Los Angeles. Die Sessions dauerten zwanzig Tage, mit dabei war unter anderem Chad Smith, Drummer der Red Hot Chili Peppers, der auf dem Original-Schlagzeug von „Goodbye Yellow Brick Road“ spielte. Sie ist unter Elton Johns vielen herausragenden Platten der frühen und mittleren Siebzigerjahre vielleicht die allerbeste.

Fachmann für Wiederbelebung

Als Produzent fungierte Andrew Watt, der mit Ozzy Osbourne und für das phänomenale Album „Hackney Diamonds“ mit den Rolling Stones gearbeitet hat. Seitdem gilt er als Fachmann für die musikalische Wiederbelebung von Altstars.

„Ohne Elton John wäre ich niemals Musikerin geworden, hätte ich niemals angefangen, Songs zu schreiben“, hat Brandi Carlile dem Musikmagazin „Rolling Stone“ gesagt. Sie kennt sein Werk in- und auswendig, hat schon als Jugendliche eine Biografie über ihn gelesen.

Er ist nicht bloß musikalisch, sondern auch politisch ihr Vorbild. Elton John und sein Partner David Furnish seien das erste homosexuelle Paar gewesen, das sie in der Öffentlichkeit sah. Carlile ist lesbisch, seit 2012 mit ihrer Partnerin Catherine Shepherd verheiratet. Sie haben zwei Kinder, wie John und Furnish.

Leider leidet „Who Believes in Angels?“ am Schematismus seiner Dramaturgie, viele Songs sind in einem „Und dann, und dann“-Überbietungsmodus gefangen. An die Agilität und Innovationskraft von Johns „Lockdown Sessions“ aus dem Jahr 2021 reicht sein 35. Studioalbum nicht heran.