Der Kanzler spricht, aber er sagt nichts

Die Verbesserung der Lebensumstände gehe mit einer Verschlechterung der Lebensinhalte einher, schreibt Michel Houellebecq in „Vernichten“, und das wäre natürlich eine Erklärung: Wer Kanzler wird, erlebt nichts mehr und hat nichts mehr zu erzählen, weil das Kanzlerleben aus vorgefühlten und vorgedachten Viertelstunden des abzulebenden Terminkalenders besteht. Doch nein … das ist es ja nicht. Olaf Scholz ist ein vorsichtiger, schüchterner Mensch und hat mit Nichtkommunikation stets Erfolg gehabt; darum macht er damit weiter.

Frage: Das Verkehrsministerium wird sich um das Digitale kümmern, aus welchen Ministerien kommen welche Abteilungen ins BMVI? Die Scholzantwort: „Ich glaube, dass man sagen kann, dass alles gut geordnet sein wird.“

Frage: Wird sich Deutschland am diplomatischen Boykott der Winterspiele in Peking beteiligen? Zweimal sagt der Kanzler nichts, zweimal fragen Kollegen nach, dann sagt der Kanzler: „Wir finden, dass es wichtig ist, dass man alles dafür tut, dass die Welt international zusammenarbeitet. Und alle Maßnahmen, die man jeweils ergreift, müssen sorgfältig abgewogen werden.“ Ist das dreist, ist’s geschickt?

Verfettete Sprache, maximale Verschwiegenheit

Olaf Scholz wiederholt Füllwörter, manscht Adjektive zusammen, verknäult Substantivierungen. Verben meidet er, damit in der Kanzlersprache nichts passiert; und wenn ihm eine gute Autorin eine gute Rede geschrieben hat, dann vernuschelt Scholz die funkelnden Sätze, und alle Silben werden eins, auch die Geschlechter: „Liebe Bürger und Bürger … Ingenieure und Ingenieure“.

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Das Ergebnis ist eine verfettete Sprache („gemeinsamer Zusammenhalt“), zugleich maximale Verschwiegenheit, und verblüffend ist all dies, weil Scholz anders kommunizieren könnte. Er probiert gern aus, im sogenannten kleinen Kreis. Wenn Olaf Scholz nichtöffentlich diskutiert, dann redet er denkend und denkt redend, nun ein angstfrei spontaner Mann. Ich saß einst, nach einer Veranstaltung, im Hamburger Rathaus auf ein Glas Wein mit Olaf Scholz und Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta zusammen: Als Podesta einschlief, alberte Scholz, denn er ist in beidem Angela Merkel ähnlich, in öffentlicher Scheu wie im privaten Humor.

Klaus Brinkbäumer schreibt eine wöchentliche Kolumne für den Tagesspiegel.Foto: picture alliance / Georg Wendt

Möglich, dass die rhetorische Vorsicht im geopolitischen Ringen hilft: Es dröhnt und droht nichts aus Berlin. Möglich auch, dass die Abwesenheit von Redekunst schon bald als Mangel an intellektueller, an politischer Führung gedeutet werden wird: Wort und Tat, Sprache und Wirklichkeit zum Zwecke des Selbstschutzes zu trennen ist riskant.

Aus Biederkeit wurde stählerne Ruhe

Die wesentliche Leistung des Wahlkampfes von 2021 war die Umdeutung des Olaf Scholz: Aus Langeweile wurde Souveränität, aus Biederkeit stählerne Ruhe – es geschah durch Werbung und durch die Fehler der anderen.

Einmal hätte es schief gehen können. „Wer Armin Laschet und die CDU wählt, wählt…“, sagte der Sprecher in einem SPD-Spot; Nathanael Liminski war gemeint, und der Sprecher sagte: „… erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist“ Wofür es außer einem verbogenen und 13 Jahre alten Zitat keinen Beleg gab.

[Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter.]

Fünf Minuten lang, immer wieder von vorn, fragte der Filmemacher Stephan Lamby den Kandidaten: Herr Scholz, kannten Sie den Spot? Scholz: „Der Kampagnenleiter hat mir berichtet, dass er nicht ausgesendet wird und dass er nur einmal gezeigt worden ist.“

Kannten Sie den Spot? Scholz: „Die Maßnahmen, die ich gebilligt habe, sind diejenigen, über die wir gesprochen haben und die ich auch richtig finde. Das sind die Plakate, über die wir hier reden. Und manches, was noch keiner kennt und demnächst kommt.“ Und so weiter und immer so weiter, bis ins Kanzleramt.