Geknetete Luft
„Unser Chef ist nicht da, das haben wir gern, denn wir kennen ihn nah und lieben ihn fern.“ Trifft die Weisheit aus dem 50er-Jahre-Schlager eigentlich auch auf Orchester zu? Spielen sie anders, wenn ein Gast vor ihnen steht statt der gewohnten Führungskraft?
Antonello Manacorda ist seit zehn Jahren Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam und seine Art des Powerplay ist den Musiker:innen längst in Fleisch und Blut übergegangen, der Drang des Maestro, jeden Takt unter Strom zu setzen, den Energiefluss im Ensemble konstant hoch zu hakten.
Korsten arbeitet die Kontrastdramaturgie plastisch heraus
Am Samstag leitet Gérard Korsten das Konzert im Nikolaisaal. 1960 in Pretoria geboren, ein studierter Geiger, wie Manacorda auch, der ebenfalls seine Karriere als Konzertmeister in einem Sinfonieorchester begann, bevor er sich entschloss, Dirigent zu werden.
Auch Korsten mag es lebhaft, schärft die musikalischen Linien gerne an, überspitz auch mal, der interpretatorischen Eindeutigkeit zuliebe. Seine technischen Mittel aber sind rustikaler als die Manacordas: Korsten dirigiert ohne Taktstock, knetet lieber mit beiden Händen gleichzeitig die Luft, um zu verdeutlichen, was ihm atmosphärisch gerade vorschwebt.
Bei Carl Maria von Webers 1. Sinfonie funktioniert das bestens. Gerade zwanzig Jahre als war der Komponist, als er das in jeder Hinsicht originelle Werk schrieb. Es lässt fast alles außer acht, was damals als angemessen galt, zeigt aber dafür jene romantische Doppelgesichtigkeit, die 15 Jahre später seinen „Freischütz“ charakterisieren wird.
Korsten arbeitet die Kontrastdramaturgie plastisch heraus, den steten Wechsel zwischen Licht und Schatten, Dur und Moll, schwärmerischer Naivität und dämonischem Dräuen. Und die Kammerakademie folgt ihm feurig, lässt die Klangfarben leuchten, tanzt ausgelassen volkstümlich, erzittert im Eishauch nächtlicher Albträume.
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Zu interessanten Ergebnissen führt Korstens Ansatz auch in Franz Schrekers Kammersymphonie von 1916: Diese Jugendstilmusik kann man leicht ins Manirierte überhöhen, der Dirigent aber betont lieber das Sinnliche, Betörende, Buntschillernde – wie beim Drehen an einem Kaleidoskop, wenn immer neue, fantastische Formationen vor dem Auge des Betrachters auftauchen.
Unter keinem guten Stern steht dagegen Beethovens Tripel-Konzert: Nachdem der Cellist Martin Löhr krankheitsbedingt absagen musste, konnte das Trio Jean Paul mit Leonid Gorokhov zwar einen Einspringer finden, dessen ausdrucksvolle Kantilenen gut zum honiggoldenen Geigenton von Ulf Schneider und zum perlenden Spiel des Pianisten Eckart Heiligers passen, doch die Solisten verfehlen die Intention Beethovens, indem sie sich einen verbissenen Wettkampf um Brillanz liefern, statt als Freunde geistreich und gelassen miteinander zu kommunizieren.
Und weil auch die Kammerakademie, von Korsten angetrieben, akustisch viel zu aufgedonnert agiert, geht der mozartische Charme, das Rokokohaft- Graziöse, das in dieser Partitur steckt, leider komplett unter im allgemeinen Bühnengetümmel.