Zum Tod von Rosi Mittermaier: Ihr Lächeln bleibt
Der erste Termin hat sich fast angefühlt wie ein Besuch bei guten alten Freunden. Rosi Mittermaier bat ins Esszimmer an den Tisch mit der Eckbank. Der Anlass war ein Jubiläum. 20 Jahre davor hatte sie bei den Olympischen Winterspielen in Innsbruck die Abfahrt und den Slalom gewonnen, war zur Gold-Rosi geworden für eine ganze Nation. Sie fand eigentlich nicht, dass dieser Jahrestag eine größere Erwähnung verdienen würde.
Aber sie erzählte dann doch von damals, kam von einem zum nächsten, und was ihr nicht einfiel, fügte ihre Ehemann Christian Neureuther hinzu. Es war mehr Unterhaltung als Interview, und die Zeit verging. Irgendwann war es mittags, die Kinder kamen von der Schule. Wie selbstverständlich wurde man gebeten, zum Essen zu bleiben. Dass es nur kalten Schweinebraten gab, war Rosi Mittermaier auch Jahre danach noch peinlich.
Am Mittagstisch saß ein fröhlicher Junge von knapp zwölf Jahren, der versuchte, eine mittelprächtige Schulaufgabennote dem Papa als Erfolg zu verkaufen. Es gelang ihm nicht ganz. Die Mama musste er nicht überzeugen. Die fand sowieso, es sei viel wichtiger, dass es Felix gut ginge, dass er gesund und glücklich sei.
Sie war kein Mensch, der sich über Medaillen und und Weltcup-Siege definierte
Das war Rosi Mittermaier. Kein getriebener Mensch, der sich über Medaillen und ihre zehn Weltcup-Siege definierte. Sie suchte nicht den Erfolg, aber vielleicht gerade deshalb fand der Erfolg sie. Als Felix Neureuther 2010 in Kitzbühel sein ersten Weltcuprennen gewann, sorgte sie sich erst einmal um dessen Gesundheit, weil er in dünnen Turnschuhen lange im Schnee stehen musste. Sie sah immer in erster Linie den Menschen und dann erst den Sportler.
Freundlich, offen, bescheiden, ehrlich, einfach bodenständig – so haben sie ihre Kolleginnen im Ski-Zirkus kennengelernt und so ist sie all die Jahre geblieben. Neid war ihr fremd, früher freute sie sich über Erfolge der Konkurrentinnen genauso wie über die eigenen. Wenn es ging, mied Rosi Mittermaier das Rampenlicht, wenn nicht, nahm sie es hin – und machte das Beste daraus, nutzte es zum Beispiel, um anderen Menschen, die nicht so auf der Sonnenseite stehen, zu helfen.
Natur und auch Sport spielten früh eine Rolle in ihrem Leben
Unter anderem war sie Schirmherrin der Deutschen Kinderrheuma-Stiftung, hat sich für die die Christoffel-Blindenmission engagiert und zusammen mit ihrem Mann Nordic Walking in Deutschland populär gemacht. „Ich hatte viel Glück im Leben“, sagte sie oft. Rosi Mittermaier nahm sich nie besonders wichtig. Und war gerade deshalb für viele ein Vorbild.
Bewegung, Natur und auch Sport spielten früh eine Rolle in ihrem Leben. Geboren am 5. August 1950 in Reit im Winkl, aufgewachsen oberhalb des Wintersportortes auf der Winklmoosalm, spielten Bewegung, Natur und Sport früh eine Rolle in ihrem Leben. Auf dem Schoss vom Papa hat Rosa Katharina – so hieß Mittermaier eigentlich – in einem Hotel im Skigebiet das Finale der Fußball-WM 1954 gesehen, später wurde der Kapitän der Mannschaft, Fritz Walter, ein guter Freund der Familie.
Und natürlich hat sie früh Skifahren gelernt, auf den Pisten vor dem Haus. Der Vater betrieb eine Skischule, die Mutter kümmerte sich um die Gäste, denn auf der Winklmoosalm bewirtschafteten die Mittermaiers zuerst ein Gasthaus, später ein Studentenheim. Die Eltern und der Sport haben ihr die Werte vermittelt, die Rosi Mittermaier an ihre beiden Kinder Ameli und Felix weitergegeben hat.
Wenn sie mit ihren Schwestern, der zehn Jahre älteren Heidi und der knapp drei Jahre jüngeren Evi, über die Hänge bei der Winklmoosalm sauste, mit oder ohne Skier, empfand sie das als „totale Freiheit“. Dass sie die später, als sie in den Ski-Kader aufgenommen wurde, nicht mehr ganz so hatte, nahm sie in Kauf.
Mit 15 Jahren lernte sie Christian Neureuther kennen, damals ebenfalls ein Ski-Talent und später auch ein erfolgreicher Rennläufer, wenngleich nicht so erfolgreich wie die Gold-Rosi. Als er „dieses Mäderl am Pistenrand mit den zwei Zöpfchen und zwei Grübchen“ gesehen habe, sei es um ihn geschehen gewesen, erzählte Neureuther später einmal. 1980 heiratete er „dieses Mäderl“, die dann längst keine Zöpfe mehr trug.
Aber die Grübchen sind geblieben, bis zum Schluss. Rosi Mittermaier und Christian Neureuther führten eine glückliche, skandalfreie Ehe, das gelingt nicht allen Prominenten-Paar. Und sie freuten sich, dass in den vergangenen Jahren die Familie dank der vier Enkelkinder immer größer wurde. Seine Frau, sagte Neureuther vor ein paar Jahren, sei „das Wertvollste, was mir der Sport gegeben hat“.
Der Rummel war schon krass
Rosi Mittermaier über ihre Olympiasiege
Rosi Mittermaier debütierte in der Saison 1966/1967 international, ihr erfolgreichster Winter sollte zehn Jahre später folgen. Als sie 1976 bei den Olympischen Spielen von Innsbruck innerhalb von drei Tagen zwei Goldmedaillen gewann und anschießend auch noch Silber im Riesenslalom, war das beschauliche Leben des fröhlichen Mädels von Winklmoosalm vorbei. Es wurde gezerrt und gezogen an ihr, der Rummel, gab sie zu, „war schon krass“.
Trotzdem verlor sie ihr Lächeln nicht einmal, als sie Reporter kurzerhand an der jubelnden Menge vorbei zu den Fernsehkabinen trugen. „Ich dachte, nach drei Wochen ist alles vorbei“, spätestens, wenn sie wieder daheim ist. Aber dort ging es weiter. Fans belagerten das Haus, noch Monate nach dem Triumph bei den Winterspielen. Manchmal stiegen Leute einfach über den Zaun und starrten ungeniert in die Fenster und der Familie auf den Esstisch.
Kurze Zeit nach den Spielen von Innsbruck beendete sie ihre Ski-Karriere
Knapp vier Monate nach ihrem olympischen Triumph beendete Rosi Mittermaier ihre Karriere. Sie ist anschließend viel gereist, hat Dinge ausprobiert, die es in der Idylle hoch über Reit im Winkl nicht gab oder die einfach zu abwegig waren: Motorradfahren, Surfen, Fallschirmspringen. Und Christian hat ihr Interesse für Kunst geweckt. „Es ist wichtig, neugierig zu bleiben“, sagte sie.
Die Medaillen haben ihr Leben verändert, aber nicht sie selbst. Sie ist bodenständig geblieben, Als sich anlässlich ihres 70. Geburtstages vor zwei Jahren Verwandte und Freunde aus Reit im Winkl einen Bus mieten wollten, um mit ihr eine kleine Party zu feiern, lehnte sie ab, fuhr mit ihrem Christian lieber in die Berge.
Der Jubeltag war ihr nicht so wichtig. Rosi Mittermaier sagte damals, sie habe doch jeden Tag Geburtstag, „weil es mir gut geht“. Immer das Positive zu sehen, ist auch etwas das bleibt von Rosi Mittermaier. Ihr selbst war das jedenfalls immer wichtiger gewesen als die Medaillen.
Rosi Mittermaier ist am Mitwoch im Alter von 72 Jahren gestorben. „Wir als Familie geben die traurige Nachricht bekannt, dass unsere geliebte Ehefrau, Mama und Oma am 4. 1. 2023 nach schwerer Krankheit im Kreise der Familie friedlich eingeschlafen ist“, hieß es von Mann Christian, und den Kindern Ameli und Felix Neureuther in einer Mitteilung.
Zahlreiche Freunde äußerten sich am Mittwoch zum Tod der Ikone, etwa Markus Wasmeier, Doppel-Olympiasieger von 1994 und enger Freund der Familie. „Wir haben einen fantastischen Menschen verloren. Rosi hatte ein Herz so groß wie ein Bus, sie war immer für jeden da – das war einzigartig“, sagte Wasmeier. Ähnlich äußerte sich auch Elisabeth Koch, die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen, Mittermaiers Heimatort. Dort war die Sportlerin auch Ehrenbürgerin: „Die Rosi hat nie ein Aufhebens gemacht um ihre eigene Person.“
„Sie war eine Seele von Mensch“, sagte Franz Steinle, Präsident des Deutschen Skiverbands und wies darauf hin, dass sich Mittermaier nach ihrer Karriere jahrelang in karitativen Projekten engagierte, etwa als Schirmherrin der Deutschen Kinderrheuma-Stiftung. Zudem unterstützte Mittermaier die Christoffel-Blindenmission und reiste dafür mit ihrem Mann unter anderem nach Tansania und Nepal.
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