Olivia Wildes „Don’t Worry Darling“: Truman Show in der Wüste
Es ist im Nachhinein müßig, darüber zu spekulieren, ob „Don’t Worry Darling“ mit derselben Häme überschüttet worden wäre wie nach der Premiere in Venedig vor knapp zwei Wochen geschehen, wenn er von einem männlichen Regisseur stammen würde. Selbst nach der ohnehin unerfreulichen Vorab-Publicity über die Dreharbeiten – der Rausschmiss von Hauptdarsteller Shia LaBeouf, eine Set-Romanze von Ersatzmann Harry Styles und Regisseurin Olivia Wilde sowie explizite Sexszenen und einem daraus resultierenden Zerwürfnis zwischen Hauptdarstellerin Florence Pugh und Wilde – hatte man sich am Lido nur auf ein harmlos-kompetitives Fernduell zwischen dem britischen Popstar Styles und Teenie-Shootingstar Timothée Chalamet um das beste Outfit auf dem roten Teppich eingestellt. Stattdessen kursierte im Social Web nach der Premiere zwei Tage lang das Gerücht, dass Styles seinen Ko-Star Chris Pine angespuckt haben soll. (Hat er natürlich nicht.)
„Don’t Worry Darling“ war damit bereits vor dem Kinostart schwer lädiert. Es ist ebenso müßig zu spekulieren, wie unter diesen Umständen die Reaktionen ausgefallen wären, hätte sich Olivia Wildes zweiter Film als kleines Meisterwerk entpuppt. Das Internet hat dem Film schließlich den Rest gegeben. Kaum eine seriöse Kritik aus Venedig kam ohne Hinweis auf den Gossip aus; womit man wieder bei der Frage wäre, was der Spott am Ende mit Olivia Wilde zu tun hat.
Mit der lesbischen Teenie-Komödie „Booksmart“ hat sie vor drei Jahren ein erstaunliches Debüt hingelegt
Andreas Busche
Ein männlicher Regisseur, der bei Dreharbeiten mit seiner zehn Jahre jüngeren Hauptdarstellerin anbändelt, sorgt zumindest für andere Schlagzeilen. Die Schauspielerin hatte mit der lesbischen Teenie-Komödie „Booksmart“ vor drei Jahren ein erstaunliches Debüt vorgelegt – und die Bemerkung hinterher geschoben, dass Hollywood für junge Frauen immer noch nicht genug intelligente Rollen im Angebot habe. Schon deswegen gehörte „Don’t Worry Darling“ bis zur Venedig-Premiere zu den meistantizipierten Filmen in Hollywood.
Ein ähnliches Selbstbewusstsein beweist Wilde mit einem Film, der gleich zwei Nummern größer ausfällt als die Filme, die eine junge Regisseurin – sofern sie nicht in die Franchise-Mühle von Marvel gerät – in Hollywood üblicherweise nach einem ersten Achtungserfolg machen darf. „Don’t Worry Darling“ ist oberflächlich betrachtet Eye Candy, ein Ausstattungsfilm. Die fiktive Vorstadt-Community Victory mitten in der Wüste wirkt wie aus einem grotesk überzeichneten Imagefilm über den American Way of Live zu Zeiten Eisenhowers. Pastellfarbene Oldtimer vor adretten Einfamilienhäusern, Frauen verabschieden ihre Männer ins Büro, untermalt ist die Idylle mit Rock’n’Roll.
Dass Victory zu perfekt ist, um wahr zu sein, stellt der Film aber gleich in den ersten Minuten überdeutlich aus. In der Tanzklasse wird den Frauen beigebracht, wie man in dieser Bilderbuchwelt eine gute Figur macht: „Schönheit liegt in der Kontrolle, Anmut in der Symmetrie“, leitet die Tanzlehrerin Shelley (Gemma Chan) an, die Ehefrau des Community- Gründers – und etwas albernen Elon- Musk-Wiedergängers – Frank (Chris Pine).
Eine Choreografie ist auch die Fahrt der Männer durch die Wüste zur Arbeit in einer geheimnisvollen Glaskuppel, wo sie an „fortschrittlichen Materialien“ forschen. Hin und wieder erschüttern kurze Beben die Inneneinrichtung der modernistischen Häuser. War was?
Kameramann Matthew Libatique liebt die epischen Totalen aus der Luft, die – wie auch die Arrangements in den Wohnzimmern – die Menschen zum reinen Ornament degradieren. Aber Alice (Florence Pugh), die mit Jack (Harry Styles) eine Vorzeige-Ehe führt – am Ende des Arbeitstags gibt es für ihn einen Martini und für sie einen Quickie auf dem gedeckten Esstisch – ahnt, dass in Victory etwas nicht stimmt. Niemand darf die Wüstenenklave verlassen, Nachbarin Margaret (KiKi Layne), früher Alice’ beste Freundin, hat nach dem Verschwinden ihres Sohnes den Verstand verloren, wie eine Kassandra warnt sie vor einer Verschwörung. Und Alice wird von Halluzinationen heimgesucht, die immer realere Züge annehmen. Die Wände ihres Hauses drohen sie buchstäblich zu erdrücken.
Wilde und ihre Szenenbildnerin Katie Byron entwerfen eine bonbonfarbene Welt, die ihr Geheimnis in jeder Szene offen zur Schau stellt. Die perfekte Fünfziger-Jahre-Simulation ist mit dem heutigen Popkulturwissen (“Die Frauen von Stepford”) gewissermaßen schon der Glitch im System, zumal Wilde selbst in Interviews Filme wie „The Matrix“ und „Truman Show“ als Vorbilder nannte. Natürlich besteht in „Don’t Worry Darling“ nie ein Zweifel daran, dass die Frauen in ihren Haushaltsroutinen (und eben nicht die Männer) die Gefangenen von Victory sind. Trotzdem betreiben Wildes und „Booksmart“-Autorin Katie Silberman einen ungemeinen erzählerischen Aufwand, um länger als nötig die Echtheit dieser Fantasie zu beglaubigen. Die überraschende Wendung am Schluss kann allenfalls durch ihre Perfidie überraschen – vor allem weibliche Harry-Styles-Fans.
Popstar Styles wirkt als Suburbia- Gatte, hinter dessen All-American-Lächeln sich Abgründe abzeichnen, etwas zu kalkuliert clean. Die Männer und Frauen von Victory agieren allesamt wie eine Kohorte von Klonen, selbst die Regisseurin müht sich in einer Nebenrolle als Nachbarin Bunny vergeblich ab, ihrem Film Doppelbödigkeit zu verleihen. Die traditionellen Rollenmodelle sind sehr offensichtlich eine satirisch überspitzte Version des neuen misogynen Konservatismus in den USA. Im Grunde ist es allein der wie immer großartigen Florence Pugh überlassen, diesem bedrückenden Klima aus makellosen Interieurs und sozialer Kontrolle emotionale Nuancen abzugewinnen. Am Ende muss sie aber trotzdem noch zur Actionheldin werden, was sie, wie man ja seit „Black Widow“ weiß, ebenfalls kann: bei einer „Mad Max“-Verfolgungsjagd durch die Wüste des Realen.
Wäre „Don’t Worry Darling“ von einem Regisseur, fiele der Tenor über den Film mit ziemlicher Sicherheit wohlwollender aus. Was genau hinter den Kulissen vorgefallen ist, dass Wildes zweiter Film ein solches Social-Media-Spektakel werden konnte (woran die Regisseurin nicht ganz unbeteiligt war), spielt letztlich keine Rolle mehr. Das Häme-Narrativ hat eine Eigendynamik angenommen. Olivia Wilde spricht seit „Booksmart“ viel darüber, am Filmset vertrauensvollere Arbeitsbedingungen für Frauen schaffen zu wollen. Dass sie sich nun sowohl mit einem toxischen Star wie LaBeouf als auch mit ihrer Hauptdarstellerin überworfen hat, spricht zumindest dafür – möchte man Wilde nicht Naivität unterstellen –, dass in Hollywood Kräfte walten, die eine junge Regisseurin leicht unterschätzen kann. Für jeden Regisseur wäre „Don’t Worry Darling“, schon wegen seines inszenatorischen Selbstbewusstseins, eine fabelhafte Visitenkarte für einen größeren Film (vielleicht doch Marvel?). Olivia Wilde steht weiterhin unter Beobachtung.
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