Lucky Luke macht sich frei
Ein dreiviertel Jahrhundert reitet er nun schon durch den Wilden Westen und durch die Comicregale: Lucky Luke. Der belgische Zeichner Maurice de Bévère (1923 – 2001), besser bekannt unter seinem Pseudonym Morris, erfand die Figur im Jahr 1946. Viele Menschen begleitet Lucky Luke seit der Kindheit, wie ein treuer Freund der Familie.
Mit dem altgedienten Ralf König wurde nun nach Mawil ein weiterer deutscher Zeichner für ein Hommage-Album auserkoren. In „Zarter Schmelz“, das an diesem Donnerstag offiziell in den Handel kommt (Egmont, 56 S. Hardcover 16 €, Softcover – ab 8.7. im Handel – 8,99 €), wird Lucky Luke angeheuert, fünf wertvolle Schweizer Kühe zu bewachen, die sich von der strapaziösen Anreise in einem besonders saftigen Tal erholen sollen.
Diese Kühe sind das wichtigste Kapital des Schweizer Unternehmers Alfonz Sprüngli, der den Wilden Westen für seine Schweizer Schokolade erobern will.
Der stämmige Bud steht derweil vor dem Jobcenter für Cowboys, vergeblich auf Arbeit und seinen angebeteten Terence wartend. Bud wird von den Dörflern in Straight Gulch gemieden und als „Steckrübe“ beschimpft, und Lucky Luke wäre nicht Lucky Luke, wenn er sich nicht für den Ausgestoßenen einsetzen und auf seiner Mitarbeit beim Schweizer-Kuh-Job bestehen würde.
Mit Hilfe der alten Lesbe Calamity Jane und der Native American Sitting Butch hilft er der Liebe schließlich auf die Sprünge.
„Er sieht nicht ganz so gut aus wie in den berühmten Bilderbüchern“
König pflegt bei „Zarter Schmelz“ seinen typischen, skizzenhaft-flott hingeschmissenen Strich; er ist zudem der letzte Zeichner auf diesem Planeten, der seine Seiten noch mit Copic-Markern koloriert, jenen in den 1980er Jahren eingeführten, nachfüllbaren Layout-Stiften mit einem breiten und einem spitzen Polyester-Ende.
Königs Optik wirkt auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig für Lucky Luke. Charmanterweise begegnet er diesem erwartbaren (und, zugegeben, kleinkarierten) Einwurf, indem er seinen ich-erzählenden Protagonisten Bud bei Lucky Lukes erstem Auftritt aus dem Off sagen lässt: „Erkannt habe ich ihn nicht … Er sah nicht ganz so gut aus, wie in den berühmten Bilderbüchern.“
Das ist der erste in einer langen Reihe von pointierten Lachern, die der Veteran des Comics dem Publikum lässig serviert.
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Die Cowboys Bud und Terence sind die eigentlichen Hauptfiguren der Geschichte. Die beiden sind ein Geschenk an alle Bud-Spencer- und Terence- Hill-Fans, und ihre Liebesgeschichte ist so lustig, wie sie zu Herzen geht. Ein weiterer Höhepunkt, bei dem man König das Grinsen am Zeichentisch regelrecht anmerkt, ist die Darstellung von Calamity Jane und ihrer Geliebten Sitting Butch.
Das kommt derart authentisch, macht soviel Sinn, dass keine Schilderung von Calamity Jane in Zukunft dahinter zurückfallen sollte.
König erntet, was er in den vergangenen Jahrzehnten gesät hat
Ralf König ist in den vergangenen Jahren etwas in die Kritik geraten. Man warf ihm unzeitgemäße, klischeehafte Darstellungen von trans Frauen und Schwarzen vor.
Und auch, wenn König auf diese Kritik sehr schmallippig reagierte, und durch einige Äußerungen über „Political Correctness“ bisweilen einen geradezu bockigen Eindruck hinterließ, darf eins nicht vergessen werden: Der Mann hat mit seinen Schwulencomics mehr gegen die Diskriminierung von LGBT beigetragen, als jede:r andere deutsche Comiczeichner:in. Das anzuerkennen sollte niemandem schwerfallen, auch nicht, wenn man an Details seines Schaffens Kritik äußert.
Mit „Zarter Schmelz“ geht er nun einen Schritt weiter: Er bringt das humorvoll Schwule, das unverkrampft Aufklärerische seiner bisherigen Werke in den Comic-Mainstream. König erntet quasi, was er in den vergangenen Jahrzehnten gesät hat. Und hat jede Menge Spaß dabei.
Drei Schwestern auf dem Weg nach Liberty
Den zweiten Hommage-Band zum 75. Jahrestag steuert der Franzose Matthieu Bonhomme bei. „Lucky Luke: Wanted“ ist nach „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“ bereits sein zweiter Comic in der Reihe. Drei Schwestern machen sich mit einer geerbten Herde Kühe auf den beschwerlichen Weg, um sie dort zu verkaufen und ein neues Leben zu beginnen.
Lucky Luke bietet ihnen seine Hilfe an und begleitet sie auf Ihrer Reise. Erschwert wird das ganze durch Steckbriefe, auf denen die Ergreifung von Lucky Luke gefordert wird, durch jede Menge alte Widersacher, und die Tatsache, dass jede der drei Schwestern sich auf ihre Weise in den Helden verguckt.
Das Frauenbild mag etwas gestrig wirken, aber der Wilde Westen war nun einmal eine gestrige Zeit. Und auch das Genre an sich, Filme wie Comics, war selten fair zu Frauen. Das Spiel mit den Genreregeln im Allgemeinen, und den Regeln von Lucky-Luke-Geschichten im Speziellen, ist jedoch genau Bonhommes Zugang zum Mythos.
Im ersten Comic, der 2016 zum 70. Jahrestag der Figur erschien, war Bonhommes Aufhänger das Rauchen, das Lucky Luke plötzlich aufgab. Der Schwerpunkt diesmal ist Lucky Lukes Verhältnis zu Frauen. Denn der Held geht in den klassischen Comics – die seit 2003 in Morris’ Stil von dem französischen Zeichner Achdé mit wechselnden Autoren-Partnern fortgesetzt werden – nie auf die Avancen seiner Begleiterinnen ein. Das wurde allerdings, ebenso wie der plötzliche Rauchentzug, nie erklärt. Ein Job für Bonhomme!
[Unser Autor Bela Sobottke ist Grafiker und Comiczeichner und lebt in Berlin. Seine bekannteste Figur, der Revolverheld Rocco, ist Lucky Lukes schmuddeliger Bruder im Geiste.]
Wie unbeholfen Lucky Luke auf Flirt-Situationen reagiert, ist einfach köstlich zu sehen. Schön auch, dass er zwar ein veraltetes Geschlechterbild hat, sich jedoch von den drei Schwestern beeindrucken lässt. Er lernt, ebenso wie bei seiner Begegnung mit dem schwulen Cowboy Bud, dazu. Er ist damit das Gegenteil von toxischer Männlichkeit, ein kerniger Kerl zwar, aber offenherzig und lernfähig.
Bonhommes Strich ist über die Jahre immer eleganter, flüssiger geworden. Das Timing der Action-Sequenzen ist meisterlich, die Ausarbeitung der Kulissen enorm eloquent, und die teils monochrome Farbgebung, insbesondere in den sonnendurchtränkten Wüstenszenen, wunderschön.
Mit „Arizona 1880“ fing alles an
Einen Ausflug zu den Anfängen des Lonesome Cowboys ins Jahr 1946 bietet ein drittes Album, das im Jubiläumsjahr erschienen ist: Als Ausgabe 100 der regulären Reihe enthält der Band „Die Ursprünge (Western von Gestern)“ mit „Arizona 1880“ und „Die Goldmine von Dick Digger“ die ersten Abenteuer der Figur.
Zuletzt wurde Lucky Luke in Band 99 von Achdé und dem Autor Jul ein schwarzer Held zur Seite gestellt, nun trifft er auf schwule Cowboys. Das Universum von Lucky Luke ist in den vergangenen Jahren zeichnerisch vielfältiger und inhaltlich diverser geworden. Wo manch andere Comicserie in festgeschriebenen Dogmen verharrt, ändert sich Lucky Luke mühelos, ohne seinen Kern zu verlieren. Gar nicht schlecht für einen 75-jährigen. Happy Birthday, alter Freund!