Die japanische Künstlerin Ayako Rokkaku: Keine Berührungsängste
Berlin liegt im Regen, der Himmel ist wolkenverhangen. Die japanische Künstlerin Ayako Rokkaku wartet in der König Galerie in Kreuzberg. In der ehemaligen, brutalistischen Kirche zwischen hohen Betonwänden entfaltet ihre Malerei einen kunterbunten Sog, Kontrastprogramm zur Wirklichkeit draußen. „Das Kirchenschiff gibt meinen Werken die passende Tiefe“, sagt die Künstlerin. Durch die grellen Farben kann man sich diesen Bildern ohnehin nicht entziehen.
Ayako Rokkaku wurde 1982 in Tokio geboren und lebt inzwischen in Berlin und Porto. 2003 gewann sie den Preis der Geisai Art Fair, einer Kunstmesse in Tokio, die auf Kunterbuntes spezialisiert ist, gegründet von Takashi Murakami, dessen grinsenden Blümchen und abstrakte Manga-Charaktere weltweit bekannt sind. Der Erfolg bei Geisai brachte Rokkaku nach Europa und in Kontakt mit der hiesigen Kunstszene.
Rokkaku arbeitet „live“, das heißt sie plant nicht, verlässt sich auf ihr Gefühl, legt einfach los. Ihre Motive gleichen den Träumereien eines Kindes, unschuldig und voller Fantasie. Die kräftigen Acrylfarben, die sie nutzt, bringt sie mit den Händen auf die Leinwand auf. So lässt sie zunächst eine Wolkenlandschaft auf dem Bildgrund entstehen, der Rest kommt mit dem Flow.
Das Hauptwerk der Ausstellung befindet sich am Ende des hohen Kirchenschiffs. Das aus zehn teils abgerundeten Leinwänden zu einer Wolkenform zusammengesetzte Gemälde misst sechs mal acht Meter und herrscht über den Raum. „Es war wie ein großes Puzzle“, lacht die Künstlerin.
Das Zusammenfügen der Leinwände sei für sie ein besonderer Moment gewesen. Ein Werk in ähnlicher Größe habe sie zuvor nur einmal, und zwar im Chiba Prefectural Museum of Art ausgestellt, in einem Material, mit dem ihr künstlerischer Weg begann: Pappkarton.
Mit den Händen malen
In Rokkakus Wolkenmeer blitzt häufig eine kleine Figur auf, die die Betrachter zu begutachten scheint. Mit Ähnlichkeit zum Mangastil, beschreibt Rokkaku die Figur als etwas, das aus ihrem Künstlerselbst „herausgewachsen“ sei und ihre Werke vervollständige. „Der Charakter lädt die Betrachter dazu ein, das Werk zu entdecken.“
Die Mimik der Figuren variiert, mal signalisieren sie Verwunderung, mal verziehen sie die Miene. Oft wirkt es, als würden sie im Wolkenmeer der Leinwände versinken. Je länger man schaut, desto mehr begreift man, dass mehr hinter der bunten Fassade steckt. Kleine, mit Bleistift gemalte Ufos und Totenköpfe schwirren herum.
Positives und Negatives ist eng miteinander verwoben und koexistiert Seite an Seite. Es ist in diesem Sinne gleichwertig.
Ayako Rokkaku über ihre Werke
Rokkaku interessiert die Gleichzeitigkeit von Gut und Böse, ihre bunte Welt soll dem Betrachter ein Gefühl von Glückseligkeit vermitteln, aber die Kehrseite nicht verleugnen. „Positives und Negatives ist eng miteinander verwoben und koexistiert Seite an Seite. Es ist in diesem Sinne gleichwertig“, sagt die Künstlerin.
Sie verbringe viel Zeit in Parks, etwa am Tempelhofer Feld und in der Natur. Das Rascheln der Blätter, das Plätschern eines Sees, das Strahlen der Sonne, all das spiegele sich in ihren Motiven, vermittle Geborgenheit, doch sogar dem schönsten Stück Natur wohne etwas Unschönes inne. Es werde bloß oft nicht erkannt. In ihren Gemälden wird es von den Farben verhüllt.
Die Kunst des Kawaii
Im Japanischen steht der Ausdruck „Kawaii“ für „süß“. Der Kawaii-Stil prägt die japanische Pop-Kultur, hat sich inzwischen auch in Europa verbreitet. Künstler wie Takashi Murakami und Yoshitomo Nara haben „Kawaii“ neu definiert. In deren Fußstapfen tritt Rokkaku.
Eine künstlerische Karriere hatte sie zunächst gar im Sinn. „In der Kunst Fuß zu fassen, ist in Japan schwer. Viele brechen diesen Weg irgendwann ab, man sieht in Japan keine Zukunftschancen in der Kunst.“ Rokkakus Schaffen begann als Hobby, sie bemalte Pappkartons mit ihren Fingern, draußen in den Straßen und auf Plätzen, vor Publikum.
Nachdem sie in Tokio auf der Messe entdeckt worden war, hatte sie 2007 ihre erste Einzelausstellung in einer Galerie in Amsterdam. Die Schau tourte durch Europa. Verändert habe sie sich durch die internationale Aufmerksamkeit nicht, meint Rokkaku. Die größte Freude verspüre sie, wenn Menschen mit ihren Werken ein warmes Gefühl verbänden, sich zu Hause fühlten. Rokkaku hat „Kawaii“ verinnerlicht. Für sie bedeutet es Freiheit.
Und die findet sich auch in Berlin. In Japan sei die zeitgenössische Kunstszene klein, ganz anders als in Berlin, wo man auf Schritt und Tritt Künstler begegne. Die Dichotomie aus Schwarz und Weiß, Licht und Schatten begegnet ihr auch in der Hauptstadt. Immer ist etwas los, aber auch die Schatten sind real. Wie eine Bleistift-Kritzelei im Farbenmeer.