Nach dem Krampf folgt ein bisschen Euphorie
Die Cannstatter Kurve, in der normalerweise die fanatischsten Fans des VfB Stuttgart stehen, war ganz besonders herausgeputzt. Vor dem Anpfiff formten weiße und schwarze Papptafeln den Schriftzug „Gerd 13“. Er erinnerte an den vor kurzem verstorbenen Gerd Müller, den besten Stürmer, den der deutsche Fußball je gehabt hat.
Einen wie Müller gibt es in der aktuellen Nationalmannschaft nicht, nicht einmal eine schlechte Kopie, doch das hat ihre Lust an der Offensive am Sonntagabend im WM-Qualifikationsspiel gegen Armenien nicht schmälern können. „Heute waren wir gut vorm Tor“, sagte Serge Gnabry.
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Nur drei Tage nach dem alles in allem enttäuschenden Debüt des neuen Bundestrainers Hansi Flick zeigte das Team eine überzeugende Reaktion auf den trägen und unbefriedigenden 2:0-Sieg gegen den Fußballwinzling Liechtenstein – nicht nur, was das Ergebnis angeht, sondern auch in der spielerischen B-Note. Durch einen in jeder Hinsicht überzeugenden 6:0 (4:0)-Erfolg übernahmen die Deutschen von Armenien, dem bisherigen Spitzenreiter, die Tabellenführung in ihrer WM-Qualifikationsgruppe.
Flick hatte die Startelf im Vergleich zum Spiel gegen Liechtenstein auf gleich sechs Positionen verändert. Kapitän Manuel Neuer kehrte ins Tor zurück, außerdem kamen Antonio Rüdiger, Jonas Hofmann, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Marco Reus neu in die Mannschaft. Neben dem verletzten Robin Gosens fehlte auch Kai Havertz, der wegen eines grippalen Infekts nicht spielen konnte.
Flick war zur Improvisation gezwungen
Vor allem Gosens Ausfall zwang den Bundestrainer zur Improvisation. Flick ließ sein Team zwar mit Viererkette verteidigen, doch der neue Rechtsverteidiger Hofmann, eigentlich im offensiven Mittelfeld zu Hause, schob bei eigenem Ballbesitz so weit vor, dass die gelernten Innenverteidiger Süle, Rüdiger und Kehrer eine Dreierkette bildeten. Das neue System funktionierte, die Deutschen hatten viel mehr Tiefe in ihrem Spiel als gegen Liechtenstein.
„Den Start unter Hansi haben wir uns so vorgestellt wie heute“, sagte Mittelfeldspieler Leon Goretzka. So geht Neuanfang! Von Beginn an trat Flicks Team mit viel Elan und großer Spielfreude auf. Schon in der Anfangsphase ergaben sich Torchancen fast im Minutentakt, und anders als drei Tage zuvor in St. Gallen nutzten die Deutschen gleich eine ihrer ersten Gelegenheiten zur frühen Führung.
Die Nationalmannschaft versuchte immer wieder, den Ball direkt in die Tiefe zu spielen. So war es auch vor dem 1:0, das Serge Gnabry schon nach fünf Minuten mit einem wuchtigen Schuss erzielte. Seinem 17. Länderspieltor ließ der Münchner nur zehn Minuten später bereits das 18. folgen, als er nach einem Zuspiel von Marco Reus am langen Pfosten zum 2:0 vollendete.
Die Armenier waren mit der Dynamik des Spiels überfordert
Die Armenier waren immer dann machtlos, wenn die Deutschen schnell und direkt kombinierten. Alle vier Tore in der ersten Hälfte folgten einem ähnlichen Muster. Vor dem 3:0 durch den Dortmunder Reus, leitete Timo Werner eine Hereingabe von Gnabry direkt mit der Hacke weiter. Das 4:0 kurz vor der Pause leitete Joshua Kimmich mit einem Chipball auf Leon Goretzka ein, der per Kopf auf den Torschützen Werner ablegte.
Aber nicht nur im Spiel nach vorne überzeugte Flicks Mannschaft, sondern auch im Spiel gegen den Ball. Nach Ballverlusten gingen die Deutschen gleich in den Gegenangriff über und eroberten die Bälle umgehend zurück. Vor allem Leroy Sané, der zuletzt viel Kritik hatte einstecken müssen, tat sich in dieser Hinsicht positiv hervor. Genauso will Flick das sehen.
Unmittelbar nach der Pause traten die Armenier ein wenig forscher auf. Sie verteidigten höher, attackierten früher. Aber an diesem Tag trug das Schicksal schwarz-rot-goldene Schminke im Gesicht. Fünf Minuten waren gespielt, als Kimmich mit einem Eckball gleich am ersten armenischen Verteidiger hängen blieb. Der Ball wurde abgewehrt, landete aber zentral im Rückraum, wo Jonas Hofmann völlig frei stand. Der Gladbacher nahm aus 22 Metern Maß und traf mit seinem ersten Länderspieltor zum 5:0. An diesem Abend sollte offenbar alles funktionieren.
Flick konnte, mit Blick auf das nächste Qualifikationsspiel am Mittwoch gegen Island, schon früh umfangreich wechseln – und sein Team damit radikal verjüngen. Nach den beiden 18-Jährigen Jamal Musiala und Florian Wirtz schickte er auch noch die beiden Länderspieldebütanten Karim Adeyemi, 19, und David Raum, 23, aufs Feld. Dem Elan tat das bis buchstäblich zum Schluss keinen Abbruch. In eer Nachspielzeit traf Adeyemi sogar noch zum 6:0. Nach einem wunderbaren Doppelpass mit Florian Wirtz. (Tsp)