PJ Harvey live in Berlin: Betörendes Konzert der britischen Indie-Legende
Natürlich gibt es Tee auf der Bühne, schließlich sind wir auf einer Art britischem Themenabend. Polly Jean Harvey ist auf ihrem zehnten Studioalbum „I Inside The Old Year Dying“ von ihrer eigenen Lyrik ausgegangen: Das Buch „Orlam“(2022) behandelt die Kindheit eines neunjährigen Mädchens, das in der Pampa im Westen Englands aufwächst. Es geht um Schafe, Pflanzen, unerbittliche Natur – auch des Menschen.
Die Platte wurde leidenschaftlich von den Fans erwartet, immerhin sind sieben Jahre seit PJ Harveys letztem Werk vergangen. Und genauso leidenschaftlich erwartete man die dazugehörige Tour der Musikerin: PJ Harvey spielt an zwei Abenden im Admiralspalast, ihre einzigen Deutschland-Termine, beide Konzerte waren schnell ausverkauft.
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Erwähnter Tee steht auf urigem Vintage-Mobiliar, daneben schlichte Vasen, in einer von ihnen befindet sich der knorzige Ast, der das Coverbild des aktuellen Albums ziert. Die Instrumente der Musiker wurden auf Tischchen platziert, es gibt eine Art Sekretär, an den sich die PJ Harvey im Laufe des Konzerts immer wieder setzen wird, und klobige Stühle. Die Möbelstücke könnte man bei Ebay-Kleinanzeigen mit dem Schlagwort „Midcentury“ sicherlich teuer an Berliner Hipster mit Altbauwohnungen verkaufen, hier machen sie die Bühne kleiner; erwecken das Gefühl von Intimität; von einem Einblick in eine private Szene, der dem Publikum gewährt wird.
Jenseits des Waldfeen-Mythos
Zwischen den Songs hört man, analog zum Album, rauschende Bäche, blökende Schafe und Vogelgezwitscher. Vor diesem Hintergrund fällt es leicht, PJ Harvey mit Waldfeen zu vergleichen – nur wäre das zu plump. Allerdings füttert sie in ihrem langen, weißen Kleid und beeindruckender Ausleuchtung ihren Mythos als von der Welt entrücktes Wesen. Dazu gehört, dass sie selbstvergessen, in kindlicher Naivität über die Bühne tanzt, den Platz durch ausladende Armbewegungen nutzt, mal hilflos wippt, dann wieder energisch stampft.
So bekommen PJ Harvey und Band es auch hin, Songs wie „Autumn Term“, das auf Platte morbide und langwierig scheppert, mit vitalem Zauber zu füllen. „I Inside The Old Year Dying“ ist nämlich ein gutes PJ Harvey-Album, man kann ihm allerdings vorwerfen, dass es mitunter zu sperrig ist, den Hörenden einiges abverlangt, bis es einen hineinlässt.
Genau das weiß Harvey zu vermeiden: Ihre erstklassige Band, darunter natürlich Wegbegleiter John Parish, legen ein organisches Fundament, gerne auch mal als Herrengesangsverein mit tiefen Stimmen im Kontrast zu Harveys glasklarem und mitunter gen Himmel fliehendem Gesang. Die Schwere von PJ Harveys Musik wird in eine schöne Luftigkeit verwandelt, man fühlt sich ganz verwunschen, ätherisch angehaucht.
Zumindest in der ersten Hälfte des Konzerts, das dem neuen Album gewidmet ist. Danach bringt PJ Harvey die Hits der letzten Jahrzehnte, Songs wie das herrlich abgefuckte „Man-Size Sextett“, das daran erinnert, wie unerschrocken die Musikerin bereits 1993 ihren Mittelfinger Richtung Patriarchat reckte, oder das nervöse „Down By The Water“, mit dem sie anno 1995 elektronische Instrumente für sich entdeckte. Und bei „The Desperate Kingdom Of Love“ bekommt sie es ihn, romantisch zu sein, ohne in Kitsch zu verfallen. Ein Konzert, so gehaltvoll wie ein gutes Öl.
Ganz am Ende erst spricht PJ Harvey direkt zum Publikum und bedankt sich, dennoch war die Verbindung zwischen Musikerin und Hörenden die ganze Zeit da. Der typische Zugabe-Zirkus, der noch folgt, stört da fast ein wenig. Nicht weil man die zusätzlichen Songs nicht gerne anhört, sondern weil die in sich geschlossene Andacht, in der sich Künstler*innen und Publikum für anderthalb Stunden befanden, ein bisschen entweiht wird.