AfD-Politiker auf der Berlinale: Nicht willkommen wegen unvereinbarer Grundwerte
Die Demokratie musste in den vergangenen Jahren schon einiges aushalten. Dass die AfD seit 2021 im Bundestag vertreten ist – und ihr damit die Instrumente eben jener demokratischen Grundordnung zur Verfügung stehen, die die rechte Partei zu unterwandern versucht –, ist zweifellos eine Zumutung.
Auf den Straßen versammelten sich an den vergangenen Wochenenden hunderttausende Menschen, um gegen die Normalisierung der AfD-Politik, die längst weit in das Spektrum auch der CDU reicht, zu protestieren.
Dass AfD-Mitglieder, die für ihre Partei in den Kulturausschüssen sitzen, zur Berlinale-Eröffnung eingeladen werden, gehört zunächst mal zur kulturpolitischen Etikette. Die vom Bund und vom Land Berlin subventionierte Berlinale stellt sowohl der Kulturstaatsministerin als auch dem Berliner Senat ein Kartenkontingent zur Verfügung und erhält im Gegenzug eine Namensliste für die Einladungen. Es ist üblich, dass darauf dann die Mitglieder der Kulturausschüsse verzeichnet sind.
Vier AfD-Mitglieder stehen auf der Einladungsliste
In den Ausschüssen sitzen die vom Volk gewählten Vertreter, auch wenn einzelne Mitglieder vielleicht nicht auf Linie mit der Kulturpolitik der Regierung liegen oder die Grundwerte der Berlinale nicht teilen. „Wir setzen uns für demokratische Grundwerte und gegen Rechtsextremismus ein und unterstützen alle Demonstrationen und Initiativen gegen rechts“, sagt die Festivalleitung dazu im Tagesspiegel.
Wir erteilen rechtsextremem oder rechtspopulistischem Gedankengut eine klare Absage und beobachten mit Sorge, dass Antisemitismus, antimuslimische Ressentiments, Hetze und andere antidemokratische Haltungen in Deutschland auf dem Vormarsch sind.
Mariette Rissenbeek, Geschäftsführerin der Berlinale
Die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker und ihr Stellvertreter Ronald Gläser, gegen die sich der offene Brief vom 2. Februar richtet, in dem knapp 200 Mitglieder der internationalen Filmszene die Einladung kritisieren, sind nicht die einzigen AfD-Politiker, die zur Berlinale-Gala eingeladen wurden.
Über den Schreibtisch von Kulturstaatsministerin Claudia Roth gingen auch Karten an die AfD-Vertreter Marc Jongen und Martin Renner. Übrigens erhielten schon früher AfD-Politiker auf gleiche Weise Einladungen; dass dagegen jetzt Proteste laut werden, eröffnet eine lange überfällige Diskussion.
Wenn Roth dazu sagt, die Einladung „entspricht der demokratischen Praxis und dem Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament und seinen gewählten Abgeordneten“, weist sie auf die Zumutungen einer Demokratie hin. Die Berlinale wird so zum Spielball der Politik. Verfügt die Berlinale möglicherweise aber doch über ein Hausrecht, unliebsame Gäste auszuladen?
Dieses Problem betrifft nicht allein die Berlinale. Am Montag bekräftigte das Büro der Kulturstaatsministerin erneut seinen Standpunkt: „Antidemokratische, rechtsstaatsfeindliche und rassistische politische Kräfte haben aus Sicht von Claudia Roth nichts im Deutschen Bundestag verloren.“
Trotzdem sitzen sie im Bundestag. Muss dieses Dilemma auch für die Berlinale gelten, die ja kein politisches Gremium ist, sondern eine Kulturveranstaltung – wenn auch eine staatlich subventionierte.
Niemand möchte auf der Gala neben dem Vertreter einer Partei sitzen, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall betrachtet wird. Zumindest in der Kultur besteht diese „Brandmauer“ noch. Sollten AfD-Abgeordnete den Einladungen zur Berlinale-Eröffnung folgen, heißt es aus dem Büro Roth noch, müssten sie es eben aushalten, „dass sie bei der Berlinale genau damit in aller Deutlichkeit konfrontiert werden. Ansonsten sollen sie wegbleiben“.
Fest steht, dass die AfD-Präsenz eine Provokation ist, wie sie die Partei medial so perfekt beherrscht. Natürlich hat Brinker gleich am Montag erklärt, dass sie jetzt erst recht die Einladung wahrnehmen würde. Man muss sie notfalls wohl aushalten, aber man darf sie nicht ignorieren. Denn es gibt, das zeigen die vergangenen Wochen, Protestformen, um deutlich Position zu beziehen – und im Rahmen der Veranstaltung selbst auch die Anwesenheit von antiliberalen Kräften zu thematisieren.
Man darf der AfD die Diskurshoheit nicht überlassen; dass ein bloßes Ignorieren nicht hilft, ist inzwischen erwiesen. Auch die Branche muss ihr Missfallen weiterhin offen bekunden, das gilt auch für die internationalen Gäste. Auf dem Venedig Filmfestival etwa lassen sich die Vertreter der Fratelli d’Italia kaum blicken. Sie wissen, dass sie dort schlichtweg nicht erwünscht sind.
Die Gefahr besteht jedoch, dass der Protest vor allem der AfD in die Hände spielt.