Hoffnungsjazz in Bellevue
Sommerzeit – und das Leben ist leicht. So war es vor zwei Jahren im Park von Schloss Bellevue, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Jazzkonzert geladen hatte. Und als er am Dienstag wieder Gäste zu Jazzmusik empfängt, liegt die Erinnerung an diesen Abend in der Luft.
Damals habe niemand ahnen können, dass auf den musikalischen Sommernachtstraum der Albtraum der Corona-Pandemie folgen würde, sagt Steinmeier. Der musikalisch magische Abend mit Thomas Quasthoff bedeute für den Bundespräsidenten auch ein Gedenken an die vielen Künstler, denen die Pandemie finanzielles Auskommen und die Bühne genommen habe, den „Ort, sich anderen zu zeigen, sich auszudrücken“.
Freude des Wiedersehens
Er wolle ein Zeichen der Hoffnung setzen, dass Künstlerinnen und Musiker ihr Publikum wiederfinden, dass „wir nie wieder so lange auf sie verzichten müssen“. Die Freude des Wiedersehens genießen im Publikum auch viele Bühnenkünstler, die genau verstehen, wovon der Bundespräsident spricht, darunter Max Raabe, Sasha Waltz, Gayle Tufts und andere, die das Gefühl „Endlich mal wieder“ zelebrieren.
Die nur für diesen Abend zusammengestellte Combo auf der Bühne feiert eine Weltpremiere, der man eine Zukunft vor größerem Publikum wünschen möchte, so eindringlich spielt sie auf der Klaviatur der Gefühle zwischen spielerisch und nachdenklich, verrückt und verzaubert.
Großartig Thomas Quasthoff, der den Druck als klassischer Bariton hinter sich gelassen hat und nun in einem grandiosen Solo zeigt, „was man mit einer menschlichen Stimme alles anfangen kann“: Von gefährlich knurrend bis fast kindlich piepsend, zwischen Suff und Ärger, intoniert mit Buchstabensalat: Mäbädudndudu.
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Großartig auch seine Interpretation von „Have a Little Faith in Me“, das er seiner Agentin widmete, weil sie einiges mitgemacht haben könnte in den Jahren mit dem mehrfachen Grammy-Preisträger. Mit dem 23-jährigen Simon Oslender, der mit einer eigenen Komposition dabei war, und der 74-jährigen Uschi Brüning ist eine überzeugende Generationen-Bandbreite gesichert.
Dazu Thomas Stieger am Bass und Wolfgang Haffner, den Steinmeier unmissverständlich als „quasi ein Manuel Neuer mit Drumsticks“ vorstellt. Klar, es gibt kleine Zeichen, dass der Sommer seine Unschuld verloren hat im Vergleich zum letzten Mal. Wer sich zwischendurch einen Drink holen geht, setzt die Maske auf, und neben den Flaschen mit Mückenschutz steht Handdesinfizierer bereit auf den Tischchen, die auf dem satten Grün des Rasens eine sanfte Anmutung von Baratmosphäre verbreiten.
“Imagine” ohne Pathos
Was macht einen Abend magisch? „Imagine“ ohne Pathos, aber trotzdem voller Sehnsucht, „Black Coffee“, so cool und auf patente Weise illusionslos serviert, „So wie ich“, fast mädchenhaft gesungen mit einer Prise Ironie, „I Can’t Stand the Rain“, „Stormy Monday“, „If It’s Magic“.
Es ist ein abwechslungsreiches Programm, das mit Bob Dylans „I’ll Be Your Baby Tonight“ beginnt, so dargeboten, dass sich bis in die tiefen Verzweigungen der Herzen vor allem auch der Spaß ausbreitet, den Musik machen kann. Die lustige Jazz-Version von „Guten Abend, gute Nacht“entlässt ein begeistertes Publikum in die Nacht. Vereinzelte, vorsichtige Regentropfen erzählen von dem Respekt, den selbst die Wolken vor diesem musikalischen Hoffnungszeichen haben.