Grafische Turbulenzen aus neun Monaten
Wenn es um das Thema Schwangerschaft geht, kommen oft idealisierte Vorstellungen auf: Etwa eine Frau, die in sich versunken und zutiefst befriedet ihren Bauch streichelt. Es sind Bilder, in denen die neun Monate vor der Geburt einer Non-Stop-Euphorie gleichen.
Dass das nur die halbe Wahrheit ist, weiß Illustratorin Dorothea Huber aus eigener Erfahrung. In ihrem Comic „Aus Mutters Mund“ (Jaja-Verlag, 100 S., 20 €) rekapituliert sie in eindrücklichen, skurrilen Grafiken Gefühlszustände, körperliche Veränderungen und diverse Erlebnisse, vom positiven Schwangerschaftstest bis zur Geburt. In meist ganz- oder doppelseitigen Bildern greift sie spezielle Momente auf und bringt diese prägnant und oft humorvoll auf den Punkt.
Zunächst geht es darum, die Nachricht über das lebensverändernde Ereignis zu verarbeiten, übrigens auch vom näheren Umfeld. Die Reaktionen fallen recht unterschiedlich aus: Während eine Freundin den erwarteten Nachwuchs als Konkurrenz sieht, eine andere nun den Zusammenhang zum voluminöseren Bauchumfang erkennt, überträgt der Kung-Fu-Meister die Begebenheit auf eine Metaebene: „Das ist gut. Sehr gut. Du wirst dein Ego verlieren“, resümiert er. Eine andere stellt Bezüge zu einem Rosamunde-Pilcher-Roman her.
Was mit einer gewissermaßen abstrakten Nachricht beginnt, wird mit fortlaufender Schwangerschaft immer realer. Haarverlust, Hautprobleme, Schwangerschaftsstreifen und geaderte Wasserbeine tragen ihren Teil dazu bei.
Urkomisch sind viele der Bilder, in denen Huber sich mit den Veränderungen ihres Körpers und der Wucht der Hormone auseinandersetzt. So pinkelt sie mit zunehmendem Bauchumfang wie ein Hund – bei der grafischen Gegenüberstellung scheint sich auch das Tier an ihrem Anblick zu erfreuen. Oder sie gibt ein besonderes Beispiel für ihre oft nächtlichen Fressattacken: Wenn der Schlaf schneller kommt als erwartet und die angebissene Stulle die Nacht über am Auge kleben bleibt.
„Es war so schön zu zweit in mir“
Das bringt auch ihren Freund zum Nachdenken: „Sorgen machte er sich erst, als ich mit Käsebrot im Gesicht aufwachte“, steht daneben geschrieben. Ein anderes Mal schläft sie vor lauter Müdigkeit mitten in einem Horrorfilm ein.
Dass die Schwangerschaft nicht einfach nur eine ruhige Zeit der Vorfreude ist, spiegelt sich auch in den Bildern wider. Denn grafisch geht es maximal turbulent zu. Huber hat einen ganz eigenen Stil, um ihre Erlebnisse visuell zu vermitteln. In knalligen Farben und vielen collagenartigen Elementen zeichnet sie die Figuren reduziert und skurril verzerrt. Mit wuchtiger Präsenz nehmen sie ganze Seiten für sich ein. Erstaunlich ist, wie es ihr gelingt, mit wenigen kräftigen Strichen, oft bewusst krakelig-grob gehalten, ihre Gefühlszustände zu transportieren.
[Von Pubertät, Lust und Verhütung, Kinderwunsch und Kinderkriegen: Der Tagesspiegel-Podcast „Gyncast“ ist die völlig unzensierte Sprechstunde mit Frauenärztin Dr. Mandy Mangler. Sie finden ihn unter anderem auf Spotify und Apple Podcasts.]
So findet die Illustratorin auch für ihre Ängste und bizarren Träume einen besonderen Ausdruck. Sorgen vor der großen Verantwortung, dem Verlust ihres alten Lebens und ihrer Unabhängigkeit werden Teil ihrer Gedankenwelt.
In einer gewaltigen Metapher wird das auf groteske Weise visualisiert: Abgetrennt von ihren Gliedmaßen liegt die Protagonistin unbeweglich auf dem Boden. Während Baby und Freund, jeder fröhlich und stolz eines ihrer Beine hochhaltend, sie ganz für sich einnehmen und ihr ein Eigenleben unmöglich machen. Nachts wiederum träumt sie davon, dass sie ein Fohlen zur Welt bringt.
[Weitere Tagesspiegel-Artikel zum Thema Mutterschaft hier: Fast Food ist bei Papa lustig, bei Mama pfui, Das Drama der begabten Tochter, Comics aus Berlin – von Eltern gezeichnet.]
Manche Bilder berühren, wie eines, in dem sie das nahende Ende der Schwangerschaft thematisiert. Vor ihrem kugelrunden Bauch beugt sie den Kopf hinunter, sodass sie ihrem ungeborenen Kind, das sich im Mutterleib bereits gedreht hat, scheinbar direkt ins Gesicht blickt. „Es war so schön zu zweit in mir“, schreibt Huber. Die Geburt als Finale mündet dann in einer beeindruckenden Explosion aus Gesichtern, wilden Fratzen, Farben und Formen.
Mit ihren Illustrationen sorgt Huber für einige Lacher, aber ihre Bilder stimmen auch nachdenklich und verdeutlichen, dass das Mutterwerden nicht nur positive Gefühle in einem auslöst. Dass auch das gesagt werden darf, kritische, zweifelnde Töne genauso wie die Freude darüber zugelassen werden, zeigt wie sich die Wahrnehmung in der Gesellschaft verändert. Dorothea Huber trägt ihren Teil dazu bei.