Expandieren zum Jubiläum: Seit 30 Jahren prägt Galerist Peter Kilchmann den Markt in der Schweiz
Seit 30 Jahren zählt der Zürcher Peter Kilchmann zu den führenden zeitgenössischen Galeristen der Schweiz. Nun ist er nach Paris expandiert.
Herr Kilchmann, zu Ihrem Jubiläum haben Sie sich mit einem neuen Standort in Paris beschenkt. Was spricht für die französische Metropole?
Ich hatte über verschiedene Standorte nachgedacht. Berlin, Mailand, Brüssel, London. London wird immer ein wichtiger Handelsplatz bleiben, aber seit dem Brexit hat die Stadt für den Kunstmarkt an Attraktivität verloren – nicht zuletzt wegen des mühsamen Import-Export-Papierkrams. Jetzt erlebt Paris seine Renaissance. Ein Grund für Paris war nicht zuletzt: Ich kann mit dem Zug fahren.
Paris zieht immer mehr etablierte Galeristen an wie Esther Schipper oder die Megahändler Hauser & Wirth, die dieses Jahr eröffnen wollen. Andere Big Player wie Ropac, Gagosian, Hetzler, Zwirner sind schon länger da. Keine Angst vor Konkurrenzdruck?
Es beschäftigt mich schon, dass fast die gesamte Top-Riege vor Ort operiert. Die Frage ist, gibt es genug Sammler für uns alle, auch für die Galeristen im Mittelfeld?
Die Antwort?
Entscheidend ist, bekannte und relevante Künstler zu zeigen, die noch nicht in Paris vertreten werden. Hier haben wir viel zu bieten. Wir eröffneten die Räume im Marais mit Gemälden und Skulpturen von Leiko Ikemura. Die Premiere war ermutigend.
Inzwischen vertreten Sie 35 Künstler:innen an drei Standorten – zwei davon in Zürich.
Die Ladengalerie in der Rämistraße im Zentrum bespielen wir seit 2021. Nicht nur für uns, auch für andere Galeristen der Stadt wurde die Stadtmitte zunehmend attraktiv. Die urbaneren, zierlichen Dimensionen ergänzen unsere loftartigen Räume im industriellen Maag Areal hervorragend.
Wollten Sie immer schon Galerist werden?
Nein. Als Kind habe ich gerne und oft gemalt und gebastelt, als Teenager fing ich an, Museen zu besuchen. Ich wollte beruflich etwas Künstlerisches machen. 1987 begann ich, am Pariser Institut Supérieur des Carrières Artistiques, dem ICART, zu studieren und merkte schnell, dass ich nie ein guter Künstler sein würde. Ein Jahr später ging ich nach New York und lernte in Soho die damals innovativsten Galeristen kennen – Andrea Rosen, Pat Hearn und Colin de Land – die mich begeisterten. Zurück in der Schweiz, zog ich nach Zürich, arbeitete in einer Kunsthandlung, einer Plakatsammlung und dann im Auktionshaus Schneider, das 1991 Konkurs anmelden musste.
War das nicht demotivierend?
Naja, plötzlich war ich arbeitslos und musste mir überlegen, was ich tun will. Damals wurde mir klar, ich will Galerist werden. Künstler, die mit Video und Fotografie arbeiteten, interessierten mich am meisten; es war die Zeit, als Gursky, Ruff, Struth und Candida Höfer entdeckt wurden. Und die etablierten Züricher Händler, Ammann, Bischofberger, Lelong konzentrierten sich auf Malerei und Skulptur. 1992 eröffnete ich mit dem nordirischen Fotokünstler Willie Doherty, der mich faszinierte, weil er kollektive Traumata wie den „Bloody Sunday“ 1972 in Nordirland zum Thema machte. Kunst mit gesellschaftspolitischen Inhalten ist mir wichtig.
Die Verkäuflichkeit der Werke spielte eine untergeordnete Rolle?
Am Anfang ja. Von Doherty verkaufte ich eine einzige Arbeit – an meine Mutter. Doch allmählich interessierten sich Sammler, zunächst außerhalb der Schweiz. Die Münchner Sammlerin Ingvild Goetz kaufte zum Beispiel früh.
Sie haben 1994 erstmals an der Art Basel teilgenommen und 1996 zusammen mit Eva Presenhuber und dem Ausstellungsmacher Peter Bläuer die Liste Art Fair Basel gegründet, warum?
Weil wir wie andere jüngere Galeristen mit der Art Basel unzufrieden waren. Bis heute öffnet die Liste jungen Galeristen die Tür zur globalen Kunstwelt, fast alle Sammler der Art Basel besuchen sie.
Einer der wichtigsten Künstler Ihrer Galerie, nicht nur materiell, sondern auch als Freund, ist der Belgier Francis Alys, der seit 1986 in Mexico City lebt.
Richtig, 1999 hatte er seine erste Ausstellung bei mir. Durch ihn lernte ich die Kunstszene Lateinamerikas kennen. Er stellte mir Künstler:innen wie Santiago Sierra, Melanie Smith oder Teresa Margolles vor; mit den beiden letztgenannten arbeite ich bis heute.
Deren Themen waren und sind Drogentote, Bürgerkrieg, Armut, urbanes Chaos. Wie kam das damals bei den Sammlern in Zürich an?
Nicht gut. Die Künstler waren in Zürich kaum zu vermitteln. Und die lateinamerikanischen Sammler kauften am Ende doch lieber in einheimischen Galerien. Aber langfristig hat sich mein frühes Engagement gelohnt.
Auch die osteuropäischen Positionen, die Sie früh gezeigt haben, Werke von Artur Żmijewski, Adrian Paci oder Maja Bajevic haben sozialkritische Inhalte.
Für sie galt das gleiche, sie waren kaum zu verkaufen. Umso mehr wurden sie von Institutionen, Biennalen und Kuratoren gewürdigt, das war eine wichtige Anerkennung. Aber im Rückblick muss ich sagen: Ein wenig habe ich mir in jenen Jahren das Leben als Galerist schwer gemacht.
Haben Sie zu allen Ihren Künstler:innen eine persönliche Beziehung?
Nähe und Vertrauen sind mir sehr wichtig. Ich besuche die Künstler in ihren Ateliers, wir sprechen lange über ihre Arbeit. Das gilt auch für Topkünstler wie Francis Alys oder Monica Bonvicini oder Hernan Bas. Mein Team und ich kümmern uns um alle, manchmal bis hin zu Versicherungsabschlüssen oder Bankgeschäften.
Wie zahlreiche Ihrer Kollegen vertreten Sie inzwischen auch afroamerikanische oder afrikanische Künstler. So den 1990 in Chicago geborenen Maler Kenrick McFarlane und den 1982 im kalifornischen San Bernardino geborenen Fotokünstler Paul Mpagi Sepuya.
Sepuya zeigen wir im Juni während der Art Basel sowohl in Zürich als auch in Paris. Ich halte ihn für eines der größten Talente der jüngeren Generation. Er inszeniert mit der Kamera Bilder, die gleichzeitig intim und entrückt sind. Seine Handschrift ist unverwechselbar.
Versprechen Sie sich von der Doppelschau synergetische Effekte?
Durchaus. Die mediale Aufmerksamkeit ist größer. Und ich erreiche unterschiedliche Sammlerkreise. Sepuya ist auf dem Weg zum globalen Star, die Aufmerksamkeit der Szene wird hoch sein.
Ihr Motto für die Zukunft?
Weniger Stress, mehr Spaß.