Rainald Grebe in der Waldbühne: Halleluja, Tod und Leben!

Der Lack ist ab. Aber Spaß macht es trotzdem. Was auf das Leben über Fünfzig an sich zutrifft, trifft auch auf die Idee des Musikkabarettisten Rainald Grebe zu, zum dritten Mal sowas wie ein Stadionkonzert zu veranstalten. Und auf deren Umsetzung sowieso.

Samstag in der Waldbühne. Eine Stunde bevor „Halleluja Berlin“ mit einem grebetypisch wirren Vorprogramm startet, rauscht unter Blitz und Donner der letzte Wolkenbruch des Tages nieder. Dann ist die Lage geklärt, die Menschen wringen ihre Plastikponchos aus, und die Anarchistische Musikwirtschaft tutet mit „Guantanamera“ den lateinamerikanischen Abend ein.

Den mexikanischen Diá de los Muertos hat sich Rainald Grebe als Thema für die Wiederholung seiner ersten, 2011 mit 15.000 Menschen gefeierten Waldbühnen-Sause vorgenommen. Diesmal sind 10.000 gekommen, die das durchfeuchtete Rund trotzdem ganz gut gefüllt aussehen lassen.

Ganz so tödlich mexikanisch gerät die Show aber doch nicht, auch wenn zu Beginn ein kostümierter Tod und sein kindliches Gefolge auftreten und Luftballons in den Himmel steigen lassen.

Um halb acht dann die Schrecksekunde. Nachdem das Jagdblasensemble Köllnitz mit einem großen Halali den offiziellen Beginn markiert, tritt Techniker Franz Schumacher, sonst Grebes williger Sidekick, auf die Bühne und verkündet, dass der Meister doch nicht auftreten kann. Eine Info, die prompt durch dessen Auftritt konterkariert wird – zur Winnetou-Melodie, wie schon 2011, nur, dass Grebe diesmal nicht den unterdessen inkriminierten Federschmuck trägt, sondern einen Kopfputz aus Farnblättern zum Krankenhausnachthemd.

Vier Waldarbeiter schleppen ihn auf einer Trage heran. Das alte Schlitzohr treibt von Anfang an sein Spiel mit dem Publikum und seiner Schlaganfälle auslösenden Erkrankung, die seit zwei Jahren bekannt ist.

„Habt ihr noch Bock auf mich?“, ruft Grebe. „Wollt ihr noch einen Abend mit mir verbringen? Es könnte der letzte sein!“. Jubel von den Rängen. Los geht’s mit Grebes Songs „Volkslieder singen“ und dann – vor der Bühne hoch oben auf einem Steiger positioniert – weiter mit „Der Präsident“, dicht gefolgt von Klassikern wie „Prenzlauer Berg“, „Oben“, „Multitasker“ und „20. Jahrhundert“, das reinste Best-Of. Zwischendurch Parlando mit Franz Schumacher über Grebes Gedächtnisverlust auf offener Bühne beim ersten Schlaganfall in Düsseldorf. Dauernd wedelt er die Waldarbeiter weg, die ihm Gehhilfen bringen wollen.

Die Kapelle der Versöhnung, der Charité-Psychiater-Chor, die „Singing Shrinks“, das Streichquartett – alle tragen Blätterschmuck. Ein Oberförster erzählt von einer Mischwaldaufforstungsaktion. Der Wald zu Gast auf der Waldbühne, die mit einer ausgestopften Wildsau und einem Fuchs geschmückt ist: Das ist das große Grebe-Eins-zu-eins.

Rainald Grebe ist ein anderer

Die Videokamera zeigt, was die Ohren sofort hören: Rainald Grebe ist ein anderer. Nicht nur stimmlich, sondern auch gestisch. Immer noch ein Bühnenzampano, aber ohne seine Vorkrankheitspower. Da kokettiert einer mit Fragilität, der tatsächlich fragil ist. Im Duett mit Gästen wie dem Stimmkraftwerk Anna Mateur und dem smarten Alligatoah haut der Kabarettist gesanglich immer wieder daneben. Sein Powerpianospiel ist ebenfalls Geschichte, Rainald Grebe ist – anders als Gast Bodo Wartke – kein Klavierkabarettist mehr, sondern ein Sänger, der ab und zu ein paar Akkorde und Läufe am Piano anschlägt.

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Gänsehaut-Momente setzt es trotzdem. Bei „Knocking on Heavens Door“, das Grebe mit Anna Mateur und dem Chor singt. Und bei dem Doppel aus Grebes anrührender Partyballade „Die Fete“ mit dem Refrain „Hier feiert das alte Europa“ und Anna Mateurs Kurz-aber-heftig-Version von „I Will Survive“.

René Mariks Puppen, Hans Krügers Holzfeuerwerk, von Puppenspielern bewegte Elefant- und Nashorn-Attrappen oberhalb der Bühne, an Gaga-Einlagen mangelt es nicht. Aber vor allem ist das Konzertspektakel, das in einem Rutsch bis Schlag 23 Uhr geht, ein riesiger Kraftakt des Gastgebers.

Das erste Mal Grebe in der Waldbühne, das war Größenwahn, war Staunen. Kabarettisten seines Schlages, die die Befindlichkeit der Gesellschaft in Liedtexte bannen, füllen keine Arenen. Beim Ausflug in die Wuhlheide, 2015, mit Gottfried Fischer selig, da wussten der Künstler und sein Publikum dann, wie’s geht. Volkssängertum mit Fischer-Chören, nur brüchig.

Und nun die Reprise: ein angezählter Ironiker mit Kalauertalent, Theaterfuror, Lust am Leben. Und der Gabe, Leute zusammenzutrommeln, auf und vor der Bühne. Das Mitsing-Finale bildet Grebes Signature-Hymne „Brandenburg“. Aktualisiert um die Zeile „In Brandenburg soll es wieder Löwen geben“. Noch einmal Lachen und dann ist Schluss.