Cello-Meisterklasse auf Schloss Neuhardenberg: Horizonterheiterung
Jan Vogler weiß, wie es sich anfühlt, hochbegabt zu sein. 1964 in Ost-Berlin in eine Musikerfamilie hineingeboren, wurde sein Talent früh erkannt und intensiv gefördert. Schon mit 20 Jahren machte ihn die berühmte Dresdner Staatskapelle zu ihrem Solocellisten. Zuvor war er bereits mit Orchestern in der gesamten DDR aufgetreten, „von Altenburg bis Neustrelitz, von Quedlinburg bis Erfurt“, wie er erzählt. Und natürlich auch in seiner Heimatstadt.
Seit 1997 tourt Jan Vogler nun schon als freiberuflicher Interpret unablässig um den Globus, er lebt parallel in New York sowie in Dresden, wo er seit 2009 höchst erfolgreich die traditionsreichen Musikfestspiele managt. Außerdem ist er künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals vor den Toren der Elbstadt. Und er unterrichtet regelmäßig junge Cellistinnen und Cellisten auf Schloss Neuhardenberg.
Am heutigen Montag startet wieder sein „Meisterschüler-Meister“-Workshop in der ländlichen Idylle am östlichen Rand Brandenburgs. „Ich habe nicht mitgezählt, aber ich denke, es sicher schon mein zehntes Mal in Folge“, sagt Jan Vogler. „Das Schöne bei der Stiftung Schloss Neuhardenberg ist ja, dass die Zusammenarbeit dort auf Kontinuität angelegt ist.“
Junge Leute aus aller Welt
Einige Teilnehmer lädt der Cellist mehrfach ein, um ihre Entwicklung mitverfolgen zu können. Jedes Mal sind aber auch aktuelle Bundespreisträger des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ dabei, zu dessen Sponsoren der Deutsche Sparkassen- und Gioverband gehört, der die Stiftung Schloss Neuhardenberg betreibt. Und Jan Vogler sorgt auch für internationale „Konkurrenz“, diesmal beispielsweise mit der jungen Koreanerin Gaeun Kim aus New York sowie zwei Spaniern, Luis Aracama Alonso und Ramiro Carbone Terán.
„So können die jungen Leute erfahren, was in verschiedenen Ländern bei der Ausbildung anders gemacht wird.“ Da treffen Kulturen aufeinander, Uni-Traditionen und vor allem auch ästhetisch widerstreitende Cello-Schulen. „In den USA ist das klassische Musikleben beispielsweise viel mehr vom Entertainment-Gedanken geprägt als in Europa“, weiß Jan Vogler aus seinem Doppelleben auf den beiden Kontinenten. „Da wachsen die jungen Talente in einem anderen Umfeld auf, das sie natürlich prägt.“
Unter ständiger Beobachtung
Eine entscheidende Rolle für die jungen Musiker spielen nach Voglers Beobachtungen auch die sozialen Medien. „Vom großen Cellovirtuosen Yo-Yo Ma gibt es nur eine Handvoll Videos aus seiner Jugend“, sagt er. „Heute dagegen sind die Studierenden viel beobachteter: Jeder Aufritt wird per Handy mitgeschnitten und sofort auf Youtube hochgeladen. Sie sind also ständig auf dem Präsentierteller. Und das Netz vergisst nichts.“
Andererseits müssen die Newcomer ihren Idolen nicht mehr hinterherreisen, sondern können einfach zuhause deren Videos anschauen, jedes Detail der Interpretation, jeden Fingersatz studieren. Dadurch allerdings entsteht ein Perfektionsdruck, die jungen Künstler werden im Zweifelsfall eher vorsichtiger, stromlinienförmiger. „Ich habe die Erfahrungen noch abends im Saal machen können, live vor Publikum. Auch die Fehler“, erinnert sich Jan Vogler. „Denn es ist wichtig, mal ein zu schnelles Tempo ausprobieren und dann wieder ein zu langsames, erst eine zu emotionale Interpretation zu präsentieren und dann eine zu rationale. Nur so konnte ich herausfinden, wo meine Stärken liegen.“
Praxistipps vom Profi
Wenn er in Neuhardenberg unterrichtet, sieht sich der Cellist also vor allem in der Rolle eines Trainers, der die Potenziale seiner Schützlinge weiterentwickeln will. „Dabei geht es auch um ganz praktische Tipps für die Aufführungen. In der Art: Wenn Du an der Stelle nicht dreimal mehr Power gibst, hört Dich keiner, weil dich das Orchester klanglich zudeckt.“
Das jottweedee gelegene Schloss bietet für den intensiven Gedankenaustausch einen idealen Schutzraum. Aber Jan Vogler will den Blick der jungen Leute hier auch weiten: Sie sollen sich nicht nur über ihre Instrumente beugen, sondern mit offenen Augen durch den herrlichen Park gehen, die von Karl Friedrich Schinkel ausgestattete Kirche ansehen, in die Natur ausschwärmen. Denn um eine Künstlerpersönlichkeit werden zu können, muss man sich für mehr interessieren als nur sein Fachgebiet, findet der Cellist.
Flashmob im Dorf
Lesen, ins Theater gehen, historische Kontexte verstehen, das ist auch für Musiker wichtig. Sicher, räumt er ein, angesichts der überwältigenden, online verfügbaren Angebote falle die Auswahl heute schwerer als einst in der DDR. Umso mehr beglückt es ihn, wenn er in Neuhardenberg feststellt, wie wissbegierig die jungen Musiker sind. „Sie musizieren mit Leidenschaft – und wenn sie merken, dass wir Älteren diese Leidenschaft ebenfalls noch haben, dann entsteht sofort eine Verbindung.“
In diesem Jahr will Jan Vogler vor allem die Ensemblearbeit in den Vordergrund stellen. „Wir werden zusammen die ,Bachianas Brasileiras Nr.1‘ von Heitor Villa-Lobos erarbeiten, eine Originalkomposition für acht Celli aus dem Jahr 1930“, berichtet er. „Das ist sehr schweres Stück, also eine tolle Herausforderung für uns als Gruppe.“
Geplant sind zudem ein paar Flashmob-Aktionen in Neuhardenberg. „Wir wollen mit kurzen Ausschnitten aus den ,Bachianas‘ die Passanten überraschen, beispielsweise vor dem Supermarkt.“ Denn nicht nur die jungen Künstler will Jan Vogler dazu ermuntern, die Welt da draußen“ wahrzunehmen. Ebenso ist ihm daran gelegen, die Bewohner vor Ort zu erreichen, ihre Neugier auf das Celloensemble-Projekt zu wecken.