Zimmer frei im Haus der Seele

Lange nachdem sie als Mumins-Erfinderin weltberühmt geworden war, antwortete Tove Janson auf die Frage nach dem Ursprung ihrer Figuren: „Obwohl ich in meinem tiefsten Innern Malerin bin, fühlte ich mich Anfang der vierziger Jahre, während des Krieges, so verzweifelt, dass ich anfing, Märchen zu schreiben.“

Fast folgerichtig, dass die finnische Regisseurin Zaida Bergroth ihre Filmbiografie „Tove“ damit beginnt, dass die von Alma Pöysti gespielte Janson 1944 im Luftschutzbunker sitzend eine Mumin-Figur zeichnet und schließlich durch ein vom Krieg zerstörtes Helsinki läuft. 

Aus dem Off hört man dazu Sätze aus dem ersten Mumins-Buch „Mumins lange Reise“: „Es muss irgendwann an einem Nachmittag im August gewesen sein, als Mumin und die Muminmutter den dichtesten Teil des Urwaldes erreichten. (…) Hier und da wuchsen Riesenblumen, die ein eigenartiges Licht verbreiteten, wie flackernde Lampen, und weit hinten bewegten sich kleine, eisig grüne Punkte zwischen den Schatten.“

Tove Janson war Finnin und schrieb auf Schwedisch

Kurz darauf sieht man die inzwischen 30-jährige Tove bei ihren Eltern sitzen, abermals zeichnen, und ihr Vater sagt: „Das ist keine Kunst“. Womit Bergroth in wenigen Einstellungen eines der Lebensthemen von Janson aufzäumt: ihren Zwiespalt, primär Malerin sein zu wollen, aber von den Cartoons und dem Schreiben nicht lassen zu können

Bergroth zeichnet die Künstlerinnenwerdung von Janson nach, in zumeist dunklen, braun- und gelbstichigen Bildern. Das zu einer Zeit, da die 1914 als Tochter eines Bildhauers und einer Illustratorin geborene Tove ihre Bestimmung gefunden hatte, nur eben ohne großen Erfolg und festes Einkommen.

Die Heftigkeit, mit der Janson sich gegen ihre Mumins wehrt („Ich zeichne die, um Geld zum Leben zu haben“), irritiert etwas. In der Zeit, von der „Tove“ erzählt, hatte sie schon drei Mumins-Bücher geschrieben und damit im Ausland Anerkennung gefunden; als Angehörige der finnisch-schwedischen Minderheit schrieb Janson auf schwedisch, weshalb ihre Bücher erst in den fünfziger Jahren ins Finnische übersetzt wurden.

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Allerdings sind Jansons Künstlervita und das Leben der finnischen Bohème nach dem Krieg nur die zweite Spur, der Bergroths Film folgt: Im Zentrum stehen die Beziehungen, die Tove zum einen zu dem Autor und Politiker Atos Wirtanen (Shanti Roney) hat.

Und zum anderen zu der aus reichem Hause stammenden Theaterregisseurin Vivica Bandler, die Janson ihre sexuelle Orientierung erkennen lässt. Bandler ist eine ihrer großen Lebenslieben. Aber Wirtanen, obwohl selbst noch verheiratet, will Tove heiraten. Sie bleibt vage, erst recht nach ihrer ersten Nacht mit Vivica. Beim Essen sagt sie zu ihm: „Ich habe einen neuen Raum entdeckt, in einem alten Haus.“ Und er, irritiert: „Ah, du meinst wohl in Marokko?“ – „Nein, ich meine den inneren Raum. Das Haus der Seele.“

Tove spricht öfters solche schwebenden, metaphorischen Sätze. Die Dialoge, nach Eeva Putros Drehbuch, an dem auch Toves Nichte Sophie mitgeschrieben haben soll, zählen zu den größten Qualitäten des Films. 

Beruhigende Ungewissheit

Sie verleihen seiner Heldin einen eigenen, mitunter traumverlorenen Charakter bei ihrer Suche nach künstlerischer und sexueller Selbstbestimmung.

Zumal Toves Sprache schön auch an die Stimmung der Mumins-Bücher erinnert, die immer leicht bedrohlich ist, bei aller Drolligkeit der Figuren. Wie heißt das vielleicht berühmteste Janson-Bonmot aus dem Band „Winter im Mumintal“: „Alles ist sehr ungewiss, und gerade das finde ich beruhigend.“

Es ist dann ein Hin und Her mit der von Krista Kosonen toll überlegen gespielten Vivica Bandler, die nach Paris geht, andere Liebschaften hat, aber auch nicht so richtig von der mehr und mehr ihren Weg findenden Tove loskommt.

Dabei streut Bergroth dezent weitere biografische Wegmarken von Janson in ihren Film: die Auftragsarbeiten als Wandmalerin, das von Bandler inszenierte Mumins-Theaterstück 1948 am Svenska Teatern in Helsinki, das Treffen mit einem Redakteur der „Evening News“ in London, bei dem Janson einen Vertrag für wöchentliche Comic-Strips unterzeichnet, der sie finanziell unabhängig macht.

Dass am Ende noch Toves spätere Lebenspartnerin Tuulikki Pietilä (Joanna Haartti) ihre ersten Auftritte bekommt und sich auch das schwierige Verhältnis zum Vater nach dessen Tod klärt, mit einem Anflug von Kitsch – das ist ein bisschen viel des guten Runden. Richtige Märchen waren weder die Mumins-Geschichten noch das Leben von Tove Janson.