Kreislauf der Gewalt
Manchmal holt die Realität das Kino schneller ein, als einem lieb sein kann. Vor zwei Wochen wurde die im ukrainischen Saporischschja geborene Regisseurin Alina Gorlova im ARD-Kulturmagazin „Titel Thesen Temperamente“ zu ihrem bereits 2020 entstandenen Dokumentarfilm „This Rain Will Never Stop“ interviewt.
Ihre Beweggründe für diese Geschichte zeugen vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Krieges in ihrem Heimatland von einer scheinbaren Ausweglosigkeit. „Mir war einfach wichtig zu erzählen, dass es ein Kreislauf ist. Wir konnten ihn bis heute nicht durchbrechen“, erklärte die Regisseurin mit ausweichendem Blick. „Immer wieder startet die Menschheit Krieg. Das bedeutet womöglich, dass es etwas ist, das wir in uns tragen.”
Gorlova verharrt im umkämpften Kiew, und man kann ihrem Defätismus schwer etwas entgegenhalten. Angesichts der furchtbaren Gewalt um sie herum liegen solche Schlüsse vielleicht nahe. Doch Krieg ist kein Schicksal, er ist immer menschengemacht. Ihr Zirkelschluss spiegelt sich formal auch in „This Rain Will Never Stop“ wieder, der wegen der Pandemie fast zwei Jahre verschoben und plötzlich von den Ereignissen eingeholt wurde. Seine elf Kapitel beschreiben einen Kreislauf – von Krieg und Hoffnung.
Gorlova begleitetete über fast zwei Jahre den jungen Syrer Andriy Suleyman, der 2012 mit seiner Familie (der Vater ist Kurde, die Mutter Ukrainerin) ins ostukrainische Lyssytschansk floh. Die übrige Verwandtschaft verteilt sich über Deutschland und Kurdistan, ein Teil blieb in Syrien. Doch nur zwei Jahre später beginnt der Krieg im Donbas: Frieden scheint den Suleymans nicht vergönnt zu sein.
Gorlovas Bilder sprechen für sich
In der Ukraine meldete sich Andriy als Freiwilliger beim Roten Kreuz, um den Menschen im Grenzgebiet zu helfen. An einem Checkpoint zwischen dem ukrainisch kontrollierten und dem Separatistengebiet rennt eine Gruppe Geflüchteter einmal an den überforderten Grenzposten vorbei, die sich dem Freiheitsdrang nicht widersetzen können. Eine alte Frau, die über Rückenschmerzen klagt, bittet um eine kurze Pause. Andriy fährt mit seinem Team ins Kriegsgebiet, zu den Hilfsbedürftigen.
Die Menschen, denen er auf seinem Weg begegnet, und die Landschaften, die er durchreist, strukturieren Gorlovas Film. Der Hirte im Donbas etwa, der in einer märchenhaft anmutenden Szene seine Ziegen auf eine verschneite Weide führt. Und in Kurdistan nimmt Andriy in einer malerisch-kargen Gebirgslandschaft am persischen Neujahrsfest Newroz teil.
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Die Naturaufnahmen sind mehr als bloße Motive, sie werden Teil der Erzählung. Zu Beginn schwebt die Kamera über die weitläufigen Ebenen der Ostukraine; ein alter Mann sitzt am Fluss, während in der Ferne Schüsse zu hören sind. Der Krieg ist nie weit weg. Gorlova verzichtet auf Erläuterungen, sie lässt die Bilder für sich sprechen: „Der Film hat sich selbst erzählt“, hat sie in der ARD gesagt. „Wir folgten nur den realen Geschehnissen und haben gemerkt, da steckt etwas Größeres dahinter.”
(In den Berliner Kinos Acud und Sputnik)
Dieses „Größere“ verleiht der Geschichte Andriys einen essayhaften Charakter, „This Rain Will Never Stop“ bleibt oft assoziativ. Beim Hamburger CSD feiern Menschen ausgelassen, ein Tableau zeigt wie hypnotisiert marschierende ukrainische Soldaten. In einer Lagerhalle werden die Einzelteile eines Panzers zusammengesetzt, schon bald wird er zum Einsatz kommen. All dies wurde bis zur Invasion auch im Westen als Militarisierung abgetan. Nun, so Gorlova heute, seien diese Soldaten die Beschützer:innen vor der „verrückten russischen Armee“.
Es sind solche Szenen, die Andriys Geschichte einen zeitlosen Rahmen geben. Sie betonen die unwirkliche Alltäglichkeit des Nebeneinanders von Frieden und Krieg. Denn ist Krieg nicht etwas, das nie aufgehört hat zu sein? Vielleicht sollte man also nicht von einem Kreislauf sprechen, sondern vom menschlichen Unvermögen, sich nicht für den Frieden zu entscheiden. Solche bedrückenden Fragen scheinen hinter Gorlovas Bildern zu liegen, die angesichts der jetzigen Lage eine traurige Aktualität erfahren.