Mehr Mensch, weniger Nummer eins
Ashleigh Barty kann und will nicht mehr. Nach drei Grand-Slam-Titeln und zuletzt 114 Wochen in Folge an der Spitze der Weltrangliste beendet die Australierin mit nur 25 Jahren ihre Karriere als Tennisprofi. Für ihre Sportart ist das ein herber Verlust, gerade erst hatte sich bei den Frauen wieder eine klare Hierarchie gebildet: ganz vorn Barty und dahinter der Rest.
Sie war – so muss man es jetzt sagen – eine Ausnahmeathletin. Und dazu eine, der selbst ihre härtesten Konkurrentinnen den Erfolg wirklich gegönnt haben. „Ash“ – wie sie von allen nur genannt wurde – hatte die vielleicht höchsten Beliebtheitswerte unter den Kolleginnen, die je eine Nummer eins im Frauentennis vorweisen konnte.
Ihr Sport verliert das Aushängeschild, Barty selbst gewinnt dafür ihre Freiheit zurück. Verbraucht sei sie, erklärte sie in ihrem Abschiedsvideo bei Instagram, für das sie sich von ihrer einstigen Doppel-Partnerin Casey Dellacqua interviewen ließ. Die Zeit sei nun reif, „anderen Träumen“ nachzujagen.
Ashleigh Barty war nie eine Spielerin, die nur Tennis im Kopf hatte. Schon einmal trat sie zurück, da war sie gerade 18 Jahre alt und hatte schon genug von der vielen Reiserei und dem endlosen Wechsel aus Erfolg, Misserfolg und dem Versuch, all das zu erklären. Diesmal sei das Gefühl ein ganz anderes, sagte sie nun.
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Sie habe alles erreicht, sich mit dem Wimbledon-Sieg 2021 den größten Traum erfüllt und nach dem im Januar folgenden Triumph in Melbourne auch noch den letzten Haken gesetzt. Barty tritt auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zurück, ein Kunststück, das nicht viele Sportler schaffen.
Und doch sind ihre Abschiedsworte auch eine Mahnung. Denn Barty spricht davon, dass es ihr zu viel geworden sei. Dass sie sowohl den „physischen Antrieb“ als auch das „emotionale Verlangen“ verloren habe, um weiterzumachen.
Der Profisport ist ein unbarmherziges Geschäft. Wer sich seiner Sache nicht zu 100 Prozent verschreiben kann, wird gnadenlos aussortiert. Ashleigh Barty weiß das, sie ist nicht mehr bereit, ihr Leben ausschließlich dem Tennis zu widmen. Natürlich hat sie finanziell ausgesorgt und kann es sich auch leisten, so früh schon abzutreten.
Doch es gab genug Beispiele vor ihr, wo Sportlerinnen oder Sportler eben nicht loslassen konnten. Wo sie weder auf ihren Körper und noch viel weniger auf ihren Kopf gehört haben, angetrieben wurden und sich treiben ließen. Bartys Entscheidung ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine besondere: Sie hat erkannt, dass es ihr von nun an auf dem Tennisplatz nicht mehr besser gehen wird.
Kann ich noch? Will ich noch? Muss ich noch? Barty sagt zu allem „Nein“
Es gehört viel Mut dazu, sich das selbst einzugestehen und nicht der Sucht nach Erfolg dauerhaft zu verfallen. Barty könnte das mit ihrem überraschenden Rücktritt gelingen. Und das dürfte so manche Kollegin – nicht nur aus dem Tennis – nachdenklich stimmen.
Kann ich noch? Will ich noch? Muss ich noch? Barty hat all das mit einem „Nein“ beantwortet. So schade das für den Sport sein mag, so bewundernswert ist dieser Schritt. Ashleigh Barty will wieder mehr Mensch und weniger Nummer eins im Tennis sein – Letzteres wird sie für viele ohnehin für immer bleiben.