Wut als Befreiung
Päpste, überall Päpste. Und Päpstinnen. Rechts die einen, links die anderen, in Klipprahmen über und nebeneinander gehängt. In der Altbauwohnung von Lea Draeger in Moabit. An den Decken Stuck, an den Wänden Kunst. Feuerrot sticht eine Glasplatte ins Auge, in die Buchtitel geprägt sind. Sie dient als Tisch.
Daneben steht ein Körbchen. Die Hündin springt neugierig am Bein hoch. Flugs wird sie nach nebenan gebracht. Es gilt gewichtige Themen zu bereden: Katholizismus, Psychiatrie und Patriarchat. Alles zu finden in dem Roman „Wenn ich euch verraten könnte“, dem Debüt einer Schriftstellerin, die bislang eher als Schauspielerin statt als bildende Künstlerin und schon gar nicht als Autorin bekannt war.
Päpste und Päpstinnen
Ein schwarzer Kapuzenpulli zieht an Draegers zierlicher Gestalt, die man sonst von der Bühne des Maxim Gorki Theaters kennt. Dort ist die Schauspielerin seit 2015 Ensemblemitglied. Wie zuvor schon an der Berliner Schaubühne. „Beim Schreiben kann ich kompromissloser sein als im Theater“, sagt Draeger, „da habe ich die Kontrolle, die Macht über die Geschichte“.
Eine Geschichte, die eng mit den Zeichnungen verzahnt ist, die sie seit sieben Jahren anfertigt. Die ursprünglich „1000 ökonomische Päpste“ betitelte Serie ist seither auf 5000 Blätter f 5000 Blätter angeschwollen. Die meisten lagern in der Galerie Ebensperger im ehemaligen Krematorium Wedding, wo es zum Gallery Weekend Ende April auch die erste komplette Präsentation der inzwischen auch Päpstinnen umfassenden Miniaturen gibt.
Sie fallen stilistisch genauso puristisch aus wie die Sprache von Draegers Roman, der das Gedankenstakkato einer 13 Jahre alten Psychiatriepatientin in eine Litanei aus Schmerzen und Wut verwandelt. Draeger setzt kein Wort zu viel und lässt die lückenhafte Wahrnehmung der Ich-Erzählerin stehen, die zwangsernährt und sediert wird, weil sie Sprechen und Essen verweigert. Keine Spur von sprachlichem Zierrat.
Auch bei den ökonomischen Päpsten und Päpstinnen ist kein Strich zu viel. Gekritzelte Schweinehälften, eine Gestalt mit Kreuz auf dem Gewand: Die „Betriebspapst“ betitelte Zeichnung spielt auf die Zustände in der Großschlachterei Tönnies an. „Peschmerga-Päpstin“ heißt eine mit Maschinengewehr bewaffnete Frau, auch eine „Sissi Päpstin“ gibt es.
Litanei aus Schmerzen und Wut
„Anhand einer Papstfigur, die die Spitze symbolisiert, zeige ich, wie das System tickt“, sagt Draeger und erläutert, dass der Zusatz „ökonomisch“ ein Spiel mit dem Begriff Wirtschaftlichkeit sei. Einen Kugelschreiber und Papierbögen, mehr brauche es dafür nicht. Kein Atelier, keine teuren Materialien. Sie zeichnet täglich und überall an ihrem konzeptionellen Laboratorium, das patriarchale Machtverhältnisse und Strukturen bebildert und nach Draegers Worten auch eine Vorarbeit für das Schreiben ist.
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„Wenn ich euch verraten könnte“ erzählt die Geschichte einer dysfunktionalen Familie aus der Perspektive der Enkelin. Anders als das in einer namenlosen deutschen Reihenhaussiedlung aufgewachsene Mädchen, stammen Mutter und Großmutter aus Tschechien. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 emigriert die streng katholische Familie nach Deutschland.
Sie wird von dem „kommunistischen Teufel aus der Tschechei“ vertrieben, wie es die Großmutter ausdrückt. Wirklich ankommen in der neuen Heimat wider Willen werden sie nie. Beide Frauen sind vom strengen Regiment ihrer Väter gezeichnet, die vor Machtmissbrauch, Übergriffen und Gewalt nicht zurückschrecken.
Die Fremde im eigenen Körper
Die Religion liefert die Rechtfertigung des Verhaltens, auch wenn sie mitunter nur als lakonische Episode daherkommt. „Meine Großeltern fuhren jeden Sommer mit dem Katholikenbus nach Lourdes, saßen in der letzten Reihe und aßen panierte Schnitzel und Kartoffelsalat. Ihr Deutsch hatte einen starken Akzent. Deswegen schwiegen sie.“
Schweigen, Sprachlosigkeit – das ist im Roman ebenso Thema wie Migrantenscham und Körperbilder. „Die Strafe der Mutter Magda Märtyrerin ist die des Giftes“, analysiert die altkluge Erzählerin ihre Großmutter Magda. „Sie hat die Strafe aus ihrem Körper in den Körper meiner Mutter und in meinen Körper gespritzt.“ Die destruktiven Traumata schreiben sich über Generationen bis in den Enkelinnenkörper ein.
In ihrer Ohnmacht fällt deren Rebellion in einer Kinderpsychiatrie der neunziger Jahre wie eine körperliche Totalverweigerung aus.
Dazu gehört auch die Selbstverletzung durch Ritzen. „Das absolute Bild für die Fremde im eigenen Körper“, wie Draeger sagt, und zugleich ein grausamer Schritt der Ermächtigung über den Körper, über den bisher andere Macht ausübten. Pathologische Wut ist Teil der Persönlichkeitsstörung der Erzählerin, die schließlich ein Notizheft mit Sätzen vollschreibt und so wieder zu ihrer Stimme findet.
„Die Wut macht uns Frauen hässlich“, heißt es im Buch. Nach wie vor werde Zorn Männer mehr zugestanden als Frauen, glaubt Draeger. „Wut ist etwas Befreiendes und Produktives“, sagt sie, „wir sollten sie nutzen, um die die Strukturen zu ändern, die uns wütend machen“. Ja, es ist ein feministischer Roman, auch wenn Draeger Kategorisierungen dieser Art scheut.
Wut als produktive Kraft, gerade bei Frauen
Die 1980 in Münster geborene Autorin hat in ihr Schreiben wie in ihr Zeichnen ein Stück Familienbiografie ihrer tschechischen Vorfahren einfließen lassen und auch die Situationen in der Psychiatrie der neunziger Jahre in Gesprächen recherchiert. „Es ist Fiktion, aber trotzdem ist alles echt.“ Trotz der Omnipräsenz katholischer Motive geht es ihr nicht um eine Abrechnung mit der Religion. „Am Katholizismus interessiert mich das hierarchische, von Männerbildern geprägte System. Das patriarchale Denken. Und das dualistische Denken von Gut und Böse.“
[Lea Draeger: Wenn ich euch verraten könnte. Roman. Hanserblau, 288 S., 22 €. Buchpremiere mit Lea Draeger ist am So 23. 1. um 20.30 Uhr im Gorki Theater.]
Im Buch sind es dann auch die von Urgroßvater und Großvater unterdrückten Frauen, die ihrerseits die Religion missbrauchen, um die Töchter zu schurigeln. Diesen Mechanismus der Abhängigkeit, in dem Täter und Opfer eins sind, schildert Lea Draeger brutal direkt.
Härte ist für die Autorin, die beschreibt, wie sich die Erzählerin Wunden bis auf die Knochen schneidet, das einzig mögliche Mittel. Angesichts von Missbrauch, häuslicher Gewalt und Selbstverletzung, die sie als gesellschaftliches Tabu betrachtet. „Wenn ich die Emotionen der Figuren ausführlicher beschriebe, wäre es erlösender, aber ich möchte mit meiner Geschichte nicht erlösen. So katholisch das auch klingt“, sagt Lea Draeger und lacht.
In der Tat: Ihr gelungenes Debüt lebt vom Zorn der verweigerten Absolution.