Da kann die Ampel noch was lernen

Ein Wunder, dass sich der Bundeskanzler, die Außenministerin und wahrscheinlich noch ein paar andere hochmögende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Deutschland am Sonntag nach Wembley begeben werden? Nein. Denn dort misst sich das Fußballnationalteam der Frauen mit England, im Endspiel der Europameisterschaft, und das an einem Ort, der einen Mythos begründen kann.

Olaf Scholz und Annalena Baerbock wären keine Politiker, wenn sie diese Chance ausließen, sich mit diesen Spielerinnen zu zeigen. Tatsächlich ist ja etwas Großes geschehen. In Abwandlung eines alten Fußballspruchs: Elf Freunde müsst ihr sein – es sind 23 Freundinnen in einem Team, die einer Nation und der Welt vorführen, was sich auf ihre Weise gewinnen lässt.

Vorbei die Zeit zotiger Herrenwitze, keine überheblichen Kommentare mehr, nur Begeisterung, Bewunderung für eine Frauschaft, die all das aufbietet, was man sich wünscht: Herz, Courage, Leidenschaft, Kraft, Taktik, Disziplin, technisches Geschick, einen Plan, der über ein Match hinausgeht. Und Freude am Ganzen, am Spiel, am Teamgeist, die ansteckt. Wie die Frauen feiern können!

Es sind Profis, die da spielen, aber sie machen nicht den Eindruck, als gehe es um etwas anderes als die, sagen wir ruhig, Ehre. Sie legen Ehre ein, sind die besten Botschafterinnen für ein Land, das begabt darin ist, an sich selbst und allem überhaupt zu zweifeln. Sie zeigen, wie es gelingen kann, der Lage angemessen schnell zu entscheiden und die Entscheidung ins Ziel zu tragen. Nicht lange zu fragen, sondern nach Beurteilung der Situation zu handeln. Und wie.

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Wer den Spielerinnen und der Bundestrainerin zuhört, wie sie sich erklären, der weiß außerdem, was gelungene Kommunikation voraussetzt: Echtheit, Empathie und Wertschätzung – und dazu, sortiert im Kopf zu sein, organisiert, teamorientiert. Das teilt sich mit, und zwar inzwischen einer ganzen Nation.

Ein Geschenk in freudlosen Zeiten

Eine Jubelarie? Ja, weil das Gefühl, das dieses Team verbreitet, ein Geschenk in freudlosen Zeiten ist. So vieles gibt es nun nicht, an dem sich die Menschen gerade erbauen könnten. Um uns herum: Krise. Da tut es gut, dieses Sommermärchen eigener Art, ein bisschen wie 2006, damals bei der Männer-WM im eigenen Land. So sehr haben sich die Seele, der Kopf danach gesehnt, und nun wird das Sehnen auf wundersame, mitunter rauschhafte Weise erfüllt.

Die Wahrheit ist auf dem Platz, aber wirklich. Die Trägerinnen der Hoffnung liefern ab, sie überzeugen. Von der Einstellung übers Tempo bis zu den Laufwegen, alles; und wenn es nicht passt, dann wird nicht aufgesteckt, sondern alles gegeben, es passend zu machen. Das ist Spirit. Auch die meisten der 90 000 englischen Zuschauer:innen werden das zu würdigen wissen. Hoffentlich.

Ein Vorbild für die Politik

Und hoffentlich auch die Zuschauer, die aus Deutschland kommen, die prominenten aus der Politik. Die können, wenn sie ehrlich sind, vom Nationalteam noch etwas lernen, gerade jetzt. War das Team Scholz nicht angetreten, zusammenzuarbeiten wie keines vorher? Hat der Bundeskanzler nicht eben noch erklärt: You’ll never walk alone?

Die Fußballhymne ist Programm – und sie sollte es dringend sein. Von dem, was das Team Deutschland auszeichnet, ist das Bundeskabinett um einiges entfernt.

Sie haben bereits gewonnen

Ganz unbedingt geht es um den Verzicht auf Eitelkeiten. Eine für die andere, jede:r haut sich rein, weiß, was sie (und er) zu tun hat, das ist schon die richtige Grundidee. Dazu der Plan, wie alles aufgehen kann – das hochverehrte Publikum ist gar nicht so dumm, das wird es schon mitbekommen und zu würdigen wissen. Doch, doch, hier bieten durchaus sich Analogien zur Politik an.

Und wenn das Nationalteam das Endspiel verlieren sollte? So oder so, in Sieg oder Niederlage, einerlei, die Frauen haben bereits gewonnen: die Herzen der Zuschauer, der Menschen daheim. So sehen Siegerinnen aus.