Im Hintergrund der immergleiche Jazz: Teresa Präauer bittet zu Tisch
Mit einer bewährten Ausgangslage beginnt schon der Abgesang auf konventionelle Formen: Teresa Präauer nutzt in ihrem neuen Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ eine abendliche Tischgesellschaft, um milieuspezifische, politische und kulturelle, aber auch private Bruchlinien aufzuzeigen. Die Gastgeberin und ihr Lebensabschnittsgefährte haben ein „befreundetes Paar, das mittlerweile ein Ehepaar war“ sowie einen „Freund aus der Schweiz, der seit vielen Jahren hier in der Stadt lebte“, zu sich nach Hause eingeladen.
Sie sprechen über Mode und Musik, über das Verreisen und die eigenen vier Wände, über das Klima und die Migration. Die Stimmung wird zunehmend gereizter, es fallen Begriffe, „die ein Fortsetzen der Diskussion verunmöglicht hätten“, aber das Gespräch geht natürlich doch weiter.
Ähnliche Grundkonstellationen werden in Literatur, Film und Theater immer mal präsentiert, etwa in Yasmina Rezas Bühnenstück „Drei Mal Leben“. Doch schon nach wenigen Seiten ist klar, dass Präauer aus dem allzu bekannten Setting eine originelle und literarisch versierte Versuchsanordnung entwickelt hat, in dem das allzu Bekannte angegriffen wird.
Erst spießig, dann über Pornos sprechen
Die 1979 im österreichischen Linz geborene Schriftstellerin verzichtet nämlich auf eine genretypische Eskalationsdramaturgie, sondern spielt den Abend, an dem kaum mehr als eine Quiche Lorraine mit Salat serviert wird, mehrfach durch. Zunächst kommen die Gäste überpünktlich, in einem anderen Durchgang viel zu spät; mal treten sie eher freundlich, dann eher gehässig auf. Wirkt die Gastgeberin zum Auftakt noch seltsam spießig, spricht sie später über den eigenen Pornokonsum.
Und der Witz: Was die Unerträglichkeit der Zusammenkunft angeht, machen die Varianten kaum einen Unterschied. Das liegt vor allem daran, dass jene Menschen, die wohl zur ökonomischen Mitte der Gesellschaft gehören, in designtechnischen, alltagsrituellen und sprachlichen Wohlfühlblasen leben. Für Leute außerhalb der eigenen Monade interessieren sie sich kaum, selbst wenn die anderen zum Thema der Tafelrunde werden. Offener Streit wird vermieden, zur Distinktion gehört es vielmehr, Differenzen nicht allzu sehr herauszustellen: „Wieso sagten die Menschen in letzter Zeit so oft kein Problem? Wo es doch statt keinem eher viele Probleme gar. Es war schwierig mit den Wörtern in diesen Tagen. Aber das war es ja immer schon gewesen, nicht wahr?“
Es gehört zur Qualität der künstlich-kunstvollen Prosa, dass nie ganz klar wird, wer in solchen Passagen angesprochen wird. Das lesende Publikum oder eine Romanfigur? Eine auktoriale Erzählinstanz offenbart die Lebenslügen der Protagonisten ohne Umschweife, bleibt aber allen gegenüber stets in einer lakonischen Halbdistanz – was das Buch zu einem nahezu postideologischen Experiment macht. Die Gespräche während des Gastmahls werden dabei nicht als Dialog, sondern in der indirekten Rede abgebildet, als sei eine echte Kommunikation unter den Anwesenden nicht möglich.
Die Figuren tragen keine Namen, werden über die Wahl ihrer Kleidung oder des Musikgeschmacks bewusst schablonenhaft charakterisiert. Die feinen Unterschiede gibt es nur noch als Zitat, und auch das popkulturelle Surfen auf den kulturindustriellen Oberflächen wirkt hier wie ein Verfahren aus der Vergangenheit. Im Hintergrund ist eine geläufige, aber nicht zu mainstreamige Musik zu hören, die gut zu den Speisen oder der Manufactum-Stimmung in der Wohnung passt.
Die Beteiligten kochen nicht nur, sondern leben grundsätzlich im „falschen Jahrhundert“, von den Katastrophen und der Kultur der Gegenwart haben sie keine Ahnung: „Suche Jazzmusikerinnen, einundzwanzigstes Jahrhundert, forderte die Gastgeberin ihren Partner auf, der die neuen Suchbegriffe in sein Smartphone tippte.“ Keine Peinlichkeit kommt in diesem Roman ohne Pointe aus, sodass die lakonische Prosa nie nur entlarvend, sondern immer auch komisch ist: „Seit ein paar Jahren war die Gastgeberin mit ihrem Partner zusammen, der wiederum mit seinem Smartphone zusammen war.“
Woke is over
Den abgeklärt-ironischen Duktus durchbricht die Autorin mit kleinen Episoden der Erinnerung, die in der zweiten Person formuliert sind. Hier wendet sich die Erzählerin direkt an eine namenlose Adressatin, die früher offenbar unabhängiger, neugieriger und bescheidener war, die beim Kochen mit wenigen Zutaten zu improvisieren wusste und die sich aber nicht nur am Essenstisch noch immer so verhält, wie es die Eltern einst vorgelebt haben: „Du hast, als Kind eines im Krieg geborenen Kindes, gelernt, aufzuessen, und fragtest dich dabei nicht, ob du hungrig warst oder bereits satt. Wenn du zum Essen eingeladen wurdest, verspürtest du manchmal noch den Impuls und hieltest ihn verborgen, als Schwester einer Schwester innerhalb einer Familie um deine Ration kämpfen zu müssen.“
Bietet Präauer einen Ausweg aus einem gesellschaftlichen Status quo, der lediglich Vergangenes reproduziert? Der woke Weg, böse Begriffe aus der Sprache zu verbannen, zählt in diesem Buch längst zu den überkommenen, weil unwirksamen Methoden, eherne Machtverhältnisse aufzuheben. Die Möglichkeit, es anders zu machen, lässt der clevere Text vielmehr in seiner ästhetischen Form aufscheinen, die nämlich auffordert, sich einen weiteren Verlauf auszudenken, einmal darüber nachzudenken, wie ein Abend und damit ein Lebensentwurf aussehen könnte, der Gäste und Gastgeber nicht gleichermaßen ratlos und enttäuscht zurücklässt.
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