Watte, Waschpulver, Würfelzucker: Thomas Rentmeisters Schüttungen in Steglitz

Der Raum sieht aus, als hätte ein Archäologe ihn eingerichtet. Ein Mensch, der den Blick auf untergehende Zivilisationen lenken will, oder ein Geologe, der die verschiedenen Schichten der Erde untersucht. Wie eine Arbeit des Berliner Bildhauers Thomas Rentmeister wirkt das strenge Arrangement dagegen erstmal nicht. Das liegt an den Vitrinen.

Zehn Glaskästen in filigranen Gestellen sind jeweils zu zweit nebeneinander aufgestellt. Darin befinden sich zehn Schüttungen, angehäuft aus Zucker, Mehl, Gries, Marshmallows und anderen leckeren Sachen. Jedes dieser „Felder“ – so heißt auch Thomas Rentmeisters Ausstellung in der Schwartzschen Villa – sieht anders aus: glatt und ruhig, wie eine unberührte Schneelandschaft; mit rätselhaften Formen und Spuren wie auf einem fremden Planeten, mit Zuckerhüten bepflanzt oder mit Elektroteilen durchkreuzt. Dabei alles in Weißtönen gehalten.

Sein Material kippt er oft auf den Fußboden

Normalerweise kippt Thomas Rentmeister sein Material direkt auf den Boden. Wie 2011 im Kunstmuseum Bonn, wo er Kühlschränke, Penatencreme, Styropor, Wäsche, Zucker und andere weiße Dinge zu einem riesigen Gebirge auftürmte. Der Fußboden des Ausstellungsraums dient dem Künstler als Sockel, anvanciert zur „Stulle“, wie es der Kunstwissenschaftler und Kurator Hendrik Bündge im Katalog zur Ausstellung formuliert. Rentmeister hat auch schon öfter riesige Mengen Nutella auf die Fußböden von Ausstellungshäusern gestrichen, oder ein ein Regal mit der süßen Nusscreme eingerieben und es als Skulptur an die Wand gehängt. Und wenn er sich vor einigen Jahren für Ausstellungen fünf Tonnen Zucker kommen ließ, dann waren das nicht nur Experimente mit Farbe, Form und Material sondern auch Kommentare auf die westliche Überflussgesellschaft und deren ungeheuerliche Lebensmittelberge.

Mit Vitrinen arbeitet Thomas Rentmeister zum ersten Mal. Großer Vorteil: Niemand kann in seine Kunst hineintreten.
Mit Vitrinen arbeitet Thomas Rentmeister zum ersten Mal. Großer Vorteil: Niemand kann in seine Kunst hineintreten.
© Foto: Bernd Borchardt

Thomas Rentmeister, 1964 in Reken, Westfalen geboren, kauft sein Material im Supermarkt oder im Baumarkt, findet es in Küche und Bad. Was er nun in Steglitz in den Vitrinen verarbeitet hat, hat jeder schon mal angefasst, in sich hineingesteckt, sich auf die Haut geschmiert, geschluckt, gekaut oder gegessen: Mehl, Zucker, Wattepads, Tempos, Tampons, Tik Taks, Zahnpasta, Salz, nicht gerade die klassischen Materialien der Bildhauerei. „Diese Dinge haben eine gewisse Intimität, sie sind nicht neutral wie Gips oder Holz“, sagt Thomas Rentmeister über seine Werkstoffe, mit denen er seit Beginn seiner Karriere arbeitet.

Weil seine Werke abstrakt sind und eigentlich nie etwas Bestimmtes abbilden wollen, nennen ihn manche einen Minimalisten. Andererseits sind seine Materialien voll mit realer Bedeutung. Nutella erinnert an Kindheit, Mehl an Omas Kuchen. Nicht nur individuelle Bezüge kommen zum Tragen, auch jede Menge kunsthistorische Referenzen tun sich auf: Man denkt an die Arte Povera der Fünfzigerjahre, an Schüttbilder, an die Monochromie von Yves Klein, an Farbfeldmalerei. Rentmeister erzählt von der Neugier auf die Eigenschaften des Materials, vom Schütten, Streuen, Werfen, Fallenlassen, Ablegen, Setzen, Schmieren. Was er da tue ähnele der Malerei – nur eben mit Zucker, Salz und Grieß.

Grieß, Mehl, Zucker, Tik Tak, Watte, Ohrenstäbchen, Marschmallows

In den aktuellen Schüttungen ist der gemeinsame Nenner also wieder einmal die Farbe Weiß. Das Thema begleitet Rentmeister seit Jahren, von der Penatencreme bis zum Kühlschrank hat er alles schon bearbeitet. Durch den Ausschluss anderer Farben treten die Unterschiede umso deutlicher zutage: das helle klare Weiß des Zuckers, der etwas dunklere Ton des Mehls, das Waschpulver mit seinen blauen Pünktchen, der Gries, fast gelb.

Auch die unterschiedlichen Texturen fallen auf, pudrig, klebrig, bröckelig. Rentmeister hat seine Hügel direkt aus der Puderzuckertüte geschüttet. Die ausgehärtete Zahnpasta bildet Risse und Krater, wie in einem ausgetrockneten Flussbett. Zerbrochene Marshmallows und Tik Taks sorgen für Struktur. Flauschige Köpfe von Wattestäbchen ragen empor. Je länger man in diese Vitrinen hineinblickt, desto mehr kommt zum Vorschein. In einem der „Felder“ sind kleine runde Kopfhörer versenkt, ragen Kabel heraus oder sind zersplitterte Plastikteile wie Farbspritzer gesetzt. Man kann sich kaum sattsehen.

Was ich mache ähnelt der Malerei – mit Zucker, Salz und Grieß.

Thomas Rentmeister

Wegen seiner Vorliebe für Alltagsmaterialien passt Rentmeister perfekt ins Jahresprogramm der Schwartzschen Villa. Kuratorin Christine Nippe hat für die aktuelle Saison das Leitmotiv „Field Studies of the Everyday“ ausgerufen. Mit dem „Everyday“ kann der Künstler sich gut identifizieren. Feldforschung sei für ihn eher Stress, sagt er. Strukturiertes Vorgehen ist nicht seine Sache. Eher wartet er ab bis das Material ihm den Weg weist. So war es auch bei den Vitrinen. Beim Ausbau seines neuen Ateliers außerhalb von Berlin hat er sie im Nachlass des Vorbesitzers, ebenfalls ein Künstler, entdeckt. Erst wusste er nichts damit anzufangen, dann öffneten sie eine neue Tür.

Rentmeister, graue kurze Haare, Brille, lachende Augen, mag es die Neugier seiner Besucher:innen zu wecken, ihre Reflexe und Erinnerungen zu aktivieren. Gleichzeitig regt es ihn auf, wenn sie in seine Kunst hineintreten. Das kann bei den Vitrinen nicht passieren. Die „Felder“ sind vor den Begierden der Besucher:innen geschützt. Würde man es darauf anlegen, könnte man die Vitrinen vielleicht sogar an einem anderen Ort wieder aufbauen, die Kunst bewahren. Das hat der Künstler aber gar nicht vor. Seine Werke überdauern meist nur wenige Woche, sind im höchsten Maße ephemer. Unwiederholbar und deshalb umso kostbarer. Die Alltagsdinge, die Thomas Rentmeister verwendet, können aber durchaus in anderen Werken erneut auftauchen. Auch diesen Wandlungsprozess kann man in der Ausstellung sehen.

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