Morteza Mehrzad ist ein Riese im Sitzvolleyball

Vor dem Aufschlag dreht Morteza Mehrzad den Ball noch einmal in seiner Hand und schaut kurz auf. Dann wirft der iranische Sitzvolleyballspieler den Ball in die Luft und holt mit dem rechten Arm weit aus. Krawumm. Die gegnerische Mannschaft kann mit diesen Geschossen meist wenig anfangen. Mehrzad schmeißt jubelnd die Arme hoch. Punkt für den Iran. Wieder einmal.

Ein Grund für das spektakuläre Spiel von Mehrzad ist seine Schlaghöhe: Bei ausgestreckten Armen reichen die Fingerspitzen bis auf 1,90 Meter – wohlgemerkt im Sitzen. Er ist damit der mit Abstand längste Spieler und zählt mit seinen insgesamt 2,44 Metern zu den größten Menschen der Welt. Sitzt Mehrzad vor dem 1,15 Meter hohen Netz und holt aus, erscheinen die Mitspieler um ihn herum unwirklich klein – Morteza Mehrzad überragt sie alle.

“Wir wollen die Goldmedaille gewinnen”

Seit der 33-Jährige vor sechs Jahren zum Nationalspieler berufen wurde, hat der amtierende Weltmeister und Paralympics-Sieger alle wichtigen Titel gewonnen. Auch in Tokio sind Irans Sitzvolleyballer wieder der Favorit. Mehrzad ist sich dessen bewusst und hat ein klares Ziel: „Wir wollen die Goldmedaille gewinnen.“

Es scheint nur logisch, dass sich Mehrzad vor zwölf Jahren im Para-Sport für Volleyball entschieden hat. „Aber vielleicht ist es eher so, dass der Sitzvolleyball mich ausgesucht hat“, erzählt der 33-Jährige der Paralympics Zeitung: „Hätte man mir damals irgendeinen anderen Sport angeboten, dann hätte ich den wahrscheinlich auch genommen.“ So ist es eine absolute Win-win-Situation. Für das iranische Nationalteam, das schon immer zu den besten Mannschaften weltweit zählte, weil es mit Mehrzad eine kleine Durststrecke beenden konnte und nun wieder zur absoluten Weltspitze gehört. Und für ihren Starspieler, der heute sagt: „Ein Leben ohne Luft bedeutet den Tod – und für mich bedeutet ein Leben ohne Volleyball dasselbe.“

Paralympics-Sieger statt “große Person”

Morteza Mehrzad kam mit einer Akromegalie zur Welt – einer äußerst selten auftretenden hormonellen Wachstumsstörung, bei der es zum sogenannten Gigantismus oder hypophysären Riesenwuchs kommt. Die normalen Körperproportionen bleiben dabei weitgehend erhalten. Axel Ruetz, Mannschaftsarzt der deutschen Sitzvolleyballer, erklärt, dass ein solches Krankheitsbild in Deutschland gar nicht mehr existiere. „Hier wird das schon beim Baby oder Kleinkind behandelt.“

Nach einem Fahrradunfall wuchs Mehrzads rechtes Bein zudem nicht weiter, es ist etwa 15 Zentimeter kürzer als das linke. Auf sein Äußeres lässt er sich aber nicht reduzieren. „Ich bin ohnehin eine ungewöhnliche Person, und ich gestehe mir mein Erscheinungsbild ein“, sagt Mehrzad: „Es kümmert mich nicht, wie groß ich bin.“ Andere Leute würden ihn nicht als große Person sehen, sondern als Paralympics-Sieger.

Ausnahmespieler

Im Iran verdient Mehrzad mit dem Volleyballspiel sein Geld. In der höchsten professionellen Liga spielt er für den Shahrbabak Copper Club, einem Verein im Südosten des Landes. „Das ist mein Job“, sagt er und freut sich darüber, dass auch nichtbehinderte Menschen „meinen Sport mögen und die Neuigkeiten dort verfolgen“. Auch der ehemalige deutsche Bundestrainer Rudi Sonnenbichler betont, dass Sitzvolleyballer – und allgemein Menschen mit Behinderung – im Iran einen ganz anderen Stellenwert haben als in Deutschland: „Die gesellschaftliche Achtung dort ist größer.“

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Sonnenbichler verfolgt aufmerksam die Karriere von Mehrzad und erzählt, dass er in seinem Heimatort entdeckt wurde und anfangs nicht unbedingt ein sportliches Talent gewesen sei. Es habe bei seiner Entwicklung „Geduld, Anschub und Unterstützung“ vom Umfeld gegeben, insbesondere im Kontext der Nationalmannschaft. „Er musste sich erst von einem passiven Spieler, der auf der Bank saß, zu dem Aktiven entwickeln, der zu Medaillen beigetragen hat“, sagt Sonnenbichler. Diese Annahme teilt auch Mediziner Axel Ruetz: „Er ist immer athletischer, immer besser geworden.“ Mehrzad habe sich zu einem wirklichen Ausnahmespieler entwickelt.

Iran gegen Deutschland in der Gruppenphase

Neben den Vorteilen auf dem Spielfeld, bringt die enorme Größe des Iraners aber auch viele körperliche Einschränkungen mit sich. „Skoliose, abgedrückte Nervenenden und -bahnen, sehr schnelle Ermüdung, Teillähmungen im ganzen Körper – das geht alles damit einher“, erklärt Ruetz. Mehrzad braucht deshalb ganz spezielle, überlange Gehstützen, die Ruetz ihm während eines Aufenthalts in Deutschland anfertigte. „Die Gehstützen sind handgemacht, aus leichtem Stahl, damit das für sein Gewicht und seine Anatomie passt.“ Mehrzad habe er als „etwas unsicher, aber sehr freundlich, zugewandt und sympathisch“ erlebt.

In Japan bekommt es das deutsche Team am Samstag in der Gruppenphase mit den Iranern und ihrem Starspieler zu tun. „Wir haben schon ein paar Mal gegen ihn gespielt, wir kennen ihn“, sagt Bundestrainer Michael Merten: „Aber wir müssen schauen, wie er sich entwickelt hat.“ Nationalspieler Florian Singer betont, dass das komplette Team des Titelverteidigers super aufgestellt sei. Aber natürlich habe man besonders großen Respekt vor dem Auftreten von Mehrzad: „Im Block ist es eher aussichtslos, mal einen Punkt zu holen, weil er einfach über jeden Block drüber schlägt.“ Bei Angriff des Gegners müsse es die eigene Mannschaft laut Merten daher mit der Feldverteidigung versuchen.

Aufschläge vom Kasten imitiert

Was bei Mehrzad entscheidend hinzu kommt: Er ist nicht nur ein großer, sondern auch ein sehr guter Spieler. Das zeige sich auch in seiner Schlaghärte, sagt Merten. „Bei großen Spielern ist es oft so, dass sie nicht so hart schlagen können. Aber bei ihm ist das anders.“ Sonnenbichler hebt zudem seine Unberechenbarkeit hervor: „Man kann oft nicht sagen, wo der Ball hingeht.“ Doch Merten kennt eine Schwäche. „Wenn Mehrzad selbst im Block spielt, können wir ihn recht gut andrücken“, erklärt der Trainer. Das bedeutet, wenn Mehrzad auf Höhe seiner Ellenbogen angespielt werde, habe er kaum eine Möglichkeit, dem Ball danach noch eine Richtung zu geben.

Selbst bei den Aufschlägen von Morteza Mehrzad sieht Merten eine kleine Chance. „Es ist ambitioniert, diese Bälle zu verteidigen – aber es ist möglich.“ In der Vorbereitung haben die deutschen Sitzvolleyballer versucht, solche Geschosse von der Grundlinie so gut es geht zu imitieren. Um auf die Schlaghöhe von 1,90 Meter zu kommen, setzte sich ein Co-Trainer bei seinen Aufschlägen auf einen Kasten.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier,