Autorinnentheatertage am DT: Erdmutter trifft Heiratsschwindler

Schön, wenn die Schöpferin persönlich am Haus inszeniert. Gaia, aka die Erdmutter, hatte eigentlich gar nicht vor, sich ihre Meriten als Regisseurin zu verdienen, im Gegenteil, sie wollte alles abschaffen. Die Leitung des Theaters, überhaupt die Leute. Denn, ehrlich, so richtig rund läuft es ja nicht mit der Menschheit. Aber was eine gewiefte Leitung ist, die handelt einen Deal aus: besser Gaia die Bühne für ihr ultimatives Lehrstück überlassen, als hinwegrafft werden. Auch wenn der guten Frau der Ruf vorauseilt, ziemlich anspruchsvoll in der Kunst zu sein. „Ich habe gehört, wenn man den Text nicht kann, wird man vom Blitz getroffen“, raunt es in Ensemble-Kreisen.

Göttinnen aus Göttingen

„Gaia am Deutschen Theater (GÖ)“ heißt dieses Nabelschau-Stück von Nele Stuhler, „GÖ“ steht für Göttingen. Zur Premiere gekommen ist es allerdings am Deutschen Theater Berlin. Und zwar im Rahmen der „Langen Nacht der Autor:innen“, dem Herzstück der Autor:innentheatertage (ATT). Ein Festival, das bekanntlich Ulrich Khuon erfunden hat, 1995, als er noch Intendant in Hannover war und zeitgenössische deutschsprachige Dramatik ungefähr so sexy wie das Wort Workshop. Lange her.

Nun verabschiedet sich Khuon als Berliner Intendant mit einer letzten ATT-Ausgabe in seiner Verantwortung, die einmal mehr zehn Gastspiele aus der gesamten Republik und eine etwas abgewandelte „Lange Nacht“ zum Auftakt zeigt (die als Kombiabend auch im Repertoire bleibt).

Drei verdiente Schreibkräfte angefragt

In der Vergangenheit war es Usus, dass eine Jury (oder ein Einzelmensch) aus Hunderten von Einsendungen drei Texte ausgewählt hat, die mal in Szenischen Lesungen, mal in Werkstattinszenierungen, zuletzt im bereits bühnenfertigen Format vom DT und Partnertheatern zur Uraufführung gebracht wurden. Aus Anlass der besonderen Situation haben die Festival-Macher:innen diesmal allerdings selbst drei verdiente Schreibkräfte mit je eigener ATT-Geschichte für die „Lange Nacht der Autor:innen“ angefragt.

Wie eben Nele Stuhler, die mit „Gaia am Deutschen Theater (GÖ)“ eine Trilogie vollendet (nach „Gaia googelt nicht“ und „Gaia rettet die Welt“). In der Regie von Sarah Kurze begibt sich ein siebenköpfiges Ensemble, verstärkt von Mitgliedern des Jungen DT, auf einen etwas kalauerseligen Göttinnen-Trip, der lang und länger wird und als Theatersatire ungefähr so lustig ist wie eine morgendliche Dramaturgiesitzung.

Zahnbürstenpunk und Tiere

Interessanter ist das Stück „Dem Marder die Taube“ von Caren Jeß, das von einer Frauenfreundschaft erzählt. Theta (Anja Schneider) hat ihren Berliner Job als Museumskuratorin hingeschmissen, um sich in Elmshorn Taubenzucht und Kleingärtnerei zu widmen. Über eine Annonce („Nylonstrümpfe gesucht“) lernt sie Erike kennen (Linn Reusse), die sich als Pflegerin vorstellt. Wie die beiden sich annähern – oder eben nicht – wird in Stephan Kimmigs Inszenierung von einem Herrn Roland (Paul Grill) aus dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Teppich-Kibel-GmbH heraus beobachtend erzählt und kommentiert. Neben Theata und Erike spielen dabei Tauben, Ratten, Marder sowie eine Punkband namens Your Toothbrush tragende Rollen.

Wohin das Stück will, wird zwar nicht ganz klar. Es leuchtet in brüchige Lebensentwürfe wie in die Stadtfauna, entdeckt Skurriles und wendet sich wieder ab. Aber lässt dabei herrliche Sätze zurück. Zum Beispiel: „Eine Pause drängt sich zwischen die beiden wie ein schnaufender stinkender Mann“.

In „Verführung“ von Lukas Bärfuss schließlich geht es um einen Heiratschwindler, den Ulrich Matthes mit Paolo Contes „It’s Wonderful“ auf den Lippen spielt. Seit Jahren treibt dieser kurz vor der Entlassung stehende Kriminelle Spielchen mit seiner Therapeutin (Birgit Unterweger), nun wird er selbst auf die Probe gestellt. Seine angebliche Tochter (Julia Windischbauer) steht vor der Tür – fragt sich, mit welchen Absichten. Regisseur András Dömötör setzt diese Täuschungsmanöver-Story zwar routiniert in Szene. Kann allerdings auch nichts daran ändern, dass Bärfuss ihr mit einem Rekurs in die Nazizeit bedauerlicherweise zu viel aufgebürdet hat. Warum nicht dem Betrug vertrauen?

Ulrich Khuon hat in seiner Eröffnungsrede eine sehr persönliche Rückschau auf die Geschichte des Festivals gehalten, hat von Schwarzwaldreisen mit dem früh verstorbenen Dramatiker Thomas Strittmatter und klugen Sätzen früherer Juror:innen erzählt. Keine Frage, das Festival ist eine echte Herzensangelegenheit. Ab der kommenden Spielzeit übernimmt Iris Lauffenberg das DT. Die hat schon als Intendantin in Graz mit den Autor:innentheatertagen kooperiert und pflegt selbst ein Faible für zeitgenössische Dramatik. Es steht schon fest – und das ist so oder so ein versöhnlicher Ausblick –, dass es mit dem Festival weitergeht.