Der Weg in die Tech-Diktatur: Nachdenken über den neuen Faschismus

Gestritten wird im „Streitraum“ der Schaubühne in diesen Zeiten wenig. Da ging es zuletzt mehrmals um die Kulturpolitik und die Kürzungen in Berlin, und auch die jüngste Sonntagsrunde unter dem Titel „Internationaler Kulturaustausch – zwischen Spardruck und politischen Anfechtungen“ war eher ein Versuch, gemeinsam in die Abgründe zu blicken.

Während draußen der Berliner Halbmarathon läuft, zeigen die eindringlichen Fragen und Nachfragen der Moderatorin Carolin Emcke, dass die Durststrecke lang sein wird, der Schrecken lässt gar nicht mehr nach. Auf dem Podium sitzen mit Gesche Joost, der neuen Präsidentin des Goethe-Instituts, und Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen, zwei bestens vernetzte, einflussreiche Persönlichkeiten des internationalen Kulturbetriebs. Und sie sprechen erst einmal über verlorene Illusionen.

Es beginnt mit dem Brexit

Gesche Joost spürt mit „Trump II“ eine „tektonische Verschiebung“ und auch persönlich eine „totale Erschütterung“. Das hat schon mit dem Brexit begonnen. Bis dahin habe man die Demokratie als Selbstläufer betrachtet, in der Erwartung, dass die Gesellschaft immer offener werde. Joost ist Jahrgang ‘74, Milo Rau drei Jahre jünger: Diese Generation kannte noch die Internet-Euphorie der Neunziger, während man jetzt erkennen muss, wie sich Tech-Oligarchen und autoritäre Politik zusammentun in einer Symbiose, die Rau als „Faschismus zwei“ beschreibt.

Der Theatermann übt sich in Selbstkritik. „Nischendiskurse“ der Linken hätten zu viele Menschen ausgeschlossen, das radikalisiert. Es überwiegt in diesen beiden intensiven Gesprächsstunden der Eindruck, dass die linke, liberale, diverse Kulturwelt überrumpelt und kalt erwischt wird von den Rechtsextremen und den Populisten. „Vulnerabel“ – das Wort fällt mehrfach. Demokratie zeigt sich so verletzlich.

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Ein anderer sprechender Begriff ist „unhappy coincidence“. Offener Kulturaustausch, wie vom Goethe-Institut gepflegt, wird immer wichtiger. Und gleichzeitig kürzt die Bundesregierung hier die Zuschüsse empfindlich. Gesche Joost schildert ungeheuerliche Zustände: In den Goethe-Niederlassungen in den USA, wo die Präsidentin gerade zu Besuch war, fürchtet man die Pressionen der Trump-Herrschaft. „Wir wollen nicht des Landes verwiesen werden“, sagt Joost, so wie es Goethe-Mitarbeitern in Belarus oder Afghanistan ergangen ist. Washington wie Minsk – so weit ist es bald.

Darwinistische Kulturpolitik

Kultur ist ein bevorzugtes Ziel der autoritären Machthaber. Milo Rau glaubt, dass der neue Faschismus keinen eigenen kulturellen Plan verfolgt, sondern nur zerstören und zersetzen will. In Österreich erlebt er bei der FPÖ, wie sich ein neuer Anti-Antisemitismus breitmacht. Wie Wahrheit und historische Fakten „per se entwertet“ werden.

Rau gehörte dem Gremium an, das Berlins Kultursenator Chialo in der Frage der Volksbühnenintendanz beraten hat. Dabei hat er einen „Darwinismus“ in der Kulturpolitik registriert, nach dem Motto: Besorgt euch Geld bei Sponsoren und sorgt dafür, dass die Bude voll ist, sonst mach ihr halt dicht. – Die Kultur und der Kulturbetrieb, wie wir sie kennen, wird von vielen Seiten bedroht und angegangen. Auch das gehört zu den Dingen, die sich die Menschen in diesem „Streitraum“ vor Kurzem noch nicht vorstellen konnten.

Gesche Joost meint, dass wir aber noch immer in einer „Deutschland-Bubble“ leben. Es wird schon nicht so schlimm, es geht ja irgendwie. Man merke das bei Gesprächen mit Künstlern in Indien, Mexiko, Südafrika zum Beispiel. Da kommt jetzt doch noch das Gaza-Israel-Thema, Carolin Emcke spricht es an. Es gebe, sagt Joost, international viel Kritik an der deutschen Haltung in diesem Konflikt. Politische Vorgaben, wie darüber gesprochen werden soll, seien dabei nicht hilfreich.

Harte Sparpolitik in Frankreich, Presidential Orders in den USA, reaktionäre Gesetze in Ungarn, sozialer Kahlschlag in Argentinien, Kriegspropaganda in Russland: Der Horror nimmt kein Ende. Kultur wirkt überfordert. Sie kann, das ist allen klar, nur ein Teil des Widerstands sein.