Pink Floyd und Songs auf Jiddisch
8. April 2022
Den Musiker Paul Brody kenne ich schon länger als Paul Brody, den Menschen. Vor 20 Jahren war ich von der Albumreihe „Radical Jewish Culture“ der New Yorker Plattenfirma Tzadik Records fasziniert, auch die CDs von Pauls Band Sadawi waren dabei. Mir war damals nicht bewusst, dass Paul in Berlin lebt. Kennengelernt haben wir uns, zu meiner großen Überraschung, bei einem Kindergeburtstag – wir beide haben unsere Kinder dorthin gebracht und kamen ins Gespräch.
Die Geschichte seiner Familie, die in den 1930ern aus Wien fliehen musste, und seiner Suche nach einer eigenen Musiksprache hat mir Paul letztes Jahr für mein Buch „Richard Wagner & die Klezmerband“ erzählt. Nach diesem langen Interview im windigen Park am Gleisdreieck haben wir uns erst gestern wieder getroffen, im Backstagebereich des Zughafens in Erfurt, wo wir beide beim finalen Konzert der Jüdisch-Israelischen Kulturtage mitgemacht haben.
Mein Hund Sirko
„Wie sagt man ,der Hund’ auf Ukrainisch?“, wollte Paul Brody als erstes von mir wissen, als er mich sah. Dann lachte er und versuchte, die ersten Zeilen des ukrainischen HipHop-Hits aus dem Jahr 1995 „Sirko miy sobaka“ („Mein Hund Sirko“) zu rezitieren.
Wie sich herausstellte, leben bei ihm seit einigen Wochen zwei geflüchtete Mütter aus meiner Heimatstadt Charkiw mit ihren Kindern und Katzen. Sie kommen alle gut miteinander klar, sagte Paul, bis auf die Katzen – die zwei ukrainischen haben Stress mit seinen drei Berliner Katzen. Und eine der Charkiwer Damen bringt Paul ukrainische Songs bei.
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Der Berliner Klarinettist Christian Dawid, der beim Konzert an diesem Abend mit allen drei Acts die Bühne teilte, erzählte, dass auch in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg gerade Menschen aus Charkiw untergekommen sind.
Ganz praktisch, dass er ein bisschen Russisch und Ukrainisch kann: Seit 2006 spielt er mit Konsonans Retro, einer ukrainischen Familienbrassband aus der Stadt Kodyma in der Region Odessa. Ihr letztes gemeinsames Album ist vor zwölf Jahren erschienen. In den vergangenen Wochen habe es aber wieder Einladungen gegeben. Man möchte, dass die Band wieder in Europa spielt, sagt uns Christian.
Ich stelle gerade eine digitale Kompilation mit der Musik jüdischer Künstler*innen gegen die russische Aggression in der Ukraine zusammen. Ob Paul Brody vielleicht einen Track für mich hätte? Aber natürlich, sagt er, er würde sich freuen und sogar gern etwas Neues dafür aufnehmen! Solche enthusiastische Antworten bekomme ich jedes Mal, wenn ich meine jüdischen Kolleg*innen anfrage.
Musik auf Jiddisch
Mit meinen Freunden überlege ich, wie diese Kompilation heißen soll. Seit dem Beginn des Krieges fällt es mir schwer, kreativ zu sein. „russisches Kriegsschiff, fick dich!“… wie wäre es damit? Besonders einfallsreich ist das nicht, aber ein starkes Statement. Kurz und bündig. Wie würde es auf Jiddisch klingen, frage ich die Jiddischisten unter meinen Facebook-Freunden und löse damit eine linguistische Diskussion aus.
„russisches Kriegsschiff“ zu übersetzen scheint einfach zu sein, zu der anderen Hälfte des Satzes gibt es verschiedene Meinungen. Man einigt sich auf „rusishe krigshif, gey kakn in yam!“, aber dann schreibt mir Sasha Lurje, die Sängerin meiner Lieblingsband Forshpil, die wie Pink Floyd oder The Doors klingt, nur eben auf Jiddisch. Sasha habe darüber mit dem bekannten Jiddischisten Michael Wex gesprochen. Seine Variante ist „rusishe krigshif, shif zikh in dr’erd“.
Als das Konzert in Erfurt zu Ende ist, bekomme ich eine Benachrichtigung von YouTube, dass Pink Floyd vor wenigen Minuten ihr erstes neues Lied seit 28 Jahren veröffentlicht haben. Dabei handelt es sich um ihre Version eines ukrainischen Folksongs „Oy u luzi chervona kalina“, die sie mit Andriy Khlyvnyuk, dem Sänger der Kiewer Band Boombox, aufgenommen haben. Ich muss es mehrmals lesen, um sicher zu gehen, das ich es richtig verstanden habe. Pink Floyd. Boombox. Ukrainisches Volkslied. Okay, jetzt sind die Beatles dran.
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