Mit Norma ins Feuer gehen
Wenn sich die berühmteste lebende Performancekünstlerin mit der Diva Assoluta der Oper beschäftigt, erscheint das folgerichtig und im Schmerz vereint. Zumal Marina Abramović nicht an Worten spart, um Parallelen zwischen sich und Maria Callas herauszustellen, etwa den Druck durch eine harte Mutter, die keine geschützte Kindheit, sondern Erfolg im Sinn hatte.
„Wir beide sind besessen, ordnen unserer Kunst fast alles andere unter“, sagt Abramovic über die Callas und sich. „Mir wurde sogar oft gesagt, wir sähen uns ähnlich.“ Trotz dieser vielversprechenden Ausgangslage hat es gut 30 Jahre gedauert, bis das Opernprojekt „7 Deaths of Maria Callas“ Gestalt annahm. Nach der Uraufführung 2020 in München ist es mit Corona-Verspätung an der Deutschen Oper zu sehen – und mündet nach 100 Minuten in Standing Ovations.
Marina Abramović ist es gelungen, den Gipfel ihrer Popularität zu erklimmen. Sie liegt gut eine Stunde im Bett, ohne jede Bewegung, ausgeleuchtet wie die konservierte Hülle eines hingeschiedenen Potentaten. Und tatsächlich beherrscht sie die Szenerie. So kann keine Zweite liegen. Majestätisch trotzt Abramovic den Projektionen, die zwischen den sieben Todesarien ihr Bett mit Wolkenfetzen, Blitzzucken und Sturmstrudeln umgeben, als befände sie sich in einem unterfinanzierten Fantasyfilm.
Und dann ist da ihre Stimme. Dunkel, tief, mit Bewusstsein für den zu füllenden Raum spricht sie Anmoderationen zu den Frauen, die singend in den Tod gehen werden: Violetta, Tosca, Desdemona, Cio-Cio-Sen, Carmen, Lucia und Norma.
Abramovićs hypnotische Stimme
„Nein, es ist nicht gefährlich zu fallen. Erst wenn du landest, wird es gefährlich“, raunt Abramović Tosca vor dem Sprung aus der Engelsburg zu, während sie Lucia mit den Worten „Liebe wird zu Hass, Hass zu Liebe, und der Tod wird zur ultimativen Befreiung“ in den Wahnsinn geleitet.
Diese Stimme hat etwas Hypnotisches, Unentrinnbares, sogar dann, als sie Normas Schritte ins Feuer mit der genauen Beobachtung des verbrennenden Körpers unterlegt. Widerstand zwecklos. Marina Abramović geht es nicht darum, die Schlachtbank zu zerstören, die die Opernschöpfer für ihre Heldinnen wie selbstverständlich bereithalten.
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Es geht ihr um die absolute Bejahung des Schicksals und die ihr innewohnende Deutungshoheit über den eigenen Tod. Dafür hat sie Filme gedreht, die die gewaltige Bühne der Deutschen Oper während der Arien ausfüllen, während die Sängerinnen in Dienstmädchenuniformen klein danebenstehen.
Tosca stürzt auf ein Autodach
Die Männer, die in den Clips auftauchen, werden alle von Willem Dafoe verkörpert, und das ist ein Glück. Denn während Abramović in ihrer statuarischen Körperlichkeit gefangen scheint, ist er der bewegliche Part, zart und verletzlich, mit einer Gefühlsintensität, die so frontal gegen ihre Maskenhaftigkeit prallt, dass es schmerzt.
Das alles vollzieht sich in weihevollem Tempo und einer Hochglanzstilisierung des Todes: Toscas Sturz von einem New Yorker Hochhaus und ihr malerischer Einschlag auf einem Autodach, das Umschlingen der Schlange, die Otello Desdemona an den Hals setzt.
[Deutsche Oper, weitere Vorstellungen, So 10.4., 15 und 19 Uhr]
Cio-Cio-San, genannt Butterfly, läuft mit ihrem Sohn durch verseuchtes Gebiet. Als der Mann auftaucht, reißt sie sich ihren Schutzanzug vom Leib und stürzt barbusig in den Tod. Wie die 75-jährige Abramović Artikel 3 aus ihrem „An Artist’s Life Manifest“ exekutiert – An artist should be erotic –, ist nur mit Hilfsmitteln zu erreichen, die ihr zentrales Medium, den eigenen Körper, panzern.
Das Wesen der Oper bleibt Abramović fern
Nach den sieben Todesarien, die alle auch die Callas gesungen hat, und einem rumpelnden Zwischenspiel steht Marina Abramović langsam aus dem Bett auf. Sie befindet sich im Schlafzimmer jenes Apartments, in dem Maria Callas 1977 im Alter von 53 Jahren starb. An gebrochenem Herzen, wie alle Welt weiß.
„Atmen“, sagt die dunkle Stimme, die Komposition von Marko Nikodijevic schabt Echos längst verklungener Musik von den Wänden. Mühsam wird der Raum durchmessen, eine letzte Vase geht zu Bruch, dann verlässt die Performerin, die den Tod von Maria Callas nachvollzieht, die Bühne – und die dienstbaren Sängerinnen säubern den Raum, verhüllen die Gegenstände mit schwarzen Tüchern.
„Die größte Sängerin aller Zeiten wäre ohne mit der Wimper zu zucken Hausfrau geworden, um einen Mann an sich zu binden“, schüttelt sich Abramović im Programmheft. „Dass sie dazu bereit war, macht mich wütend.“ Doch diese Wut landet weich im wattigen Bilderreigen einer Künstlerin, die zur Ikone ihrer selbst geworden ist und sich in ihrer Identifikation mit der Callas verstrickt, ohne daraus Funken zu schlagen. Vielleicht, weil ihr das Wesen der Oper und ihres Gesangs letztlich fernbleibt. Die Callas hat früh die Macht ihrer Stimme eingebüßt, ihre Kunst war gebrochen.
Was ist der Unterschied zwischen Performance und Theater? Bei der Performance ist das Blut echt, sagt Marina Abramović. Doch auf dem Höhepunkt ihres Ruhms schreitet sie reglos durch ein fades Passionsspiel, bei dem man sich hinzudenken muss, wie radikal diese Künstlerin ihr Publikum zu konfrontieren weiß. Yoel Gamzou, der wie in Trance dirigiert hat, stolpert beim Schlussapplaus wiederholt über ihre goldene Schleppe.