Premiere der Formel 1 in Las Vegas: Gier auf der Überholspur
In Las Vegas ist Superman obdachlos. Der Mann mit dem abgewetzten Superheldenkostüm kauert an einem Einkaufszentrum unweit des Luxushotels Wynn auf einer der Behelfsbrücken, die den temporären Formel-1-Kurs überspannen, damit die Touristenströme zirkulieren können. Wenn der Sichtschutz auf der Stahlkonstruktion nicht wäre, könnte Superman auf die Strecke der milliardenschweren Rennserie herabblicken, die sich in den legendären Las Vegas Strip gebohrt hat.
Die Armen oben, die Reichen unten. Eine Momentaufnahme. Las Vegas ist bizarr, das macht auch die Formel 1 deutlich, die im US-Mekka des Glücksspiels eines der wichtigsten Projekte ihrer Geschichte mit allem Einsatz verfolgt. „Wenn man bedenkt, welche Geschwindigkeiten die Autos erreichen werden und das vor dem Hintergrund des Nachtlebens in Las Vegas – es wird kein vergleichbares Spektakel auf der Welt geben“, kündigte die Cheforganisatorin des vorletzten Saisonrennens, Renee Wilm, in bestem Marketingsprech an. Höher, schneller, weiter heißt hier auch: mehr, mehr, mehr.
Die Eröffnungsparty bei Nieselregen lieferte, was den Zehntausenden Zuschauern auf den Rängen gefiel. Kylie Minogue, John Legend und die Band Thirty Seconds to Mars sorgten für den Klangteppich, eine Lichtshow mit Drohnen illuminierte die imposante Nachtkulisse und auf der Start-Ziel-Geraden wurden die Fahrer um den längst als Weltmeister feststehenden Max Verstappen von Red Bull präsentiert.
„Es wird kein vergleichbares Spektakel auf der Welt geben“
Renee Wilm, Cheforganisatorin des Formel-1-Rennens in Las Vegas
Wer hier dabei sein will, muss blechen. Das günstigste Ticket für die Show auf dem Strip am für europäische Formel-1-Fans ungewohnten Samstag um 22 Uhr Ortszeit gibt es nicht unter 700 Dollar. Das teuerste Paket gibt es für fünf Millionen Dollar – dafür darf man sich aber wie ein Kaiser fühlen, so das Versprechen. Es handelt sich um das sogenannte Emperor Package (Paket für den Kaiser). Dafür erhält man samt Entourage fünf Übernachtungen in der Nobu Sky Villa, die direkt neben dem Caesars Palace liegt, auf dessen Parkplatz die Formel 1 in den Jahren 1981 und 1982 zwei Las-Vegas-Flops produziert hat.
Von der mehr als 400 Quadratmeter großen Terrasse dieser Dach-Villa hat man einen ausgezeichneten Blick auf den Kreisverkehr der Motorsport-Königsklasse unter sich. Währenddessen bereitet der mehrfach mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Koch und Hotelier Nobu Matsuhisa ein exklusives Abendessen für zwölf Personen zu. Wer tatsächlich die Luxus-Herberge verlassen will, macht dies in einem Rolls Royce samt Chauffeur. Zwölf Vip-Karten für den Grand Prix in der Wüste Nevadas gibt es obendrein.
In Las Vegas liefert man sich einen Überbietungswettbewerb
Wird man da nun neidisch oder hält das für bekloppt? Es geht beides. „Sagen Sie mir, wer dieses Vip-Paket kauft, den will ich heiraten“, sagt Chelsea sarkastisch, die mit zwei Kindern und Mann in Las Vegas lebt, und deren Lebenswirklichkeit nicht weiter entfernt als von einem Vip-Paket sein könnte. „Ist es nicht großartig, dass man sich so weit nach oben arbeiten kann, dass man sich irgendwann für Millionen Dollar ein Freizeiterlebnis kaufen kann?“, sagt Tracy, der wegen der niedrigeren Steuern aus Kalifornien nach Nevada gezogen ist, und würde seine Frage mit „Ja“ beantworten. Da kommt der amerikanische Geist durch.
Las Vegas fordert im Kampf um Besucher zu einem permanenten Überbietungswettbewerb heraus. Wenn ein Hotel seine Gäste mit der Blue Man Group unterhält, tut es das andere mit dem Cirque du Soleil. In einer Stadt, in der Stars zum Inventar gehören, muss man mehr bieten als die Konkurrenz. Eine halbe Milliarde Dollar hat die Formel 1 in ihren neuen Standort gesteckt, weil der US-Markt so viel Geld verspricht.
„Es ist ein Mount Everest, den es zu erklimmen gilt“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff über das Prestigeprojekt des Formel-1-Rechteinhabers Liberty Media, zumal die Stadt Las Vegas in ihren Anforderungen „sehr komplex“ sei. „Es wird schwer sein, nach Las Vegas nicht mehr an der Formel 1 dran zu bleiben“, mutmaßte der Vorstandschef von Liberty Media, Greg Maffei. „Es wird laut sein, und wir werden viel Aufmerksamkeit bekommen.“
Dafür bricht man auch mit Traditionen, wenn ein Grand Prix nicht am sonst üblichen Sonntag, sondern einem Samstag ausgetragen wird. Die Illusion lokaler Eigenheiten versuchen die Veranstalter dennoch zu erzeugen. Eine Hochzeitskapelle im Fahrerlager erinnert an die Geschichte Nevadas als US-Bundesstaat, in dem seit den 1930ern Vermählungen schnell und unkompliziert möglich sind. Bis dass der Tod sie scheide oder Liebe auf der Überholspur.
Dafür schmeißt sich die Formel 1 in Schale. Teams wie der frühere Weltmeister-Rennstall Mercedes nennen ihre Zentralen, wo sie ausgewählte Gäste bewirten, „Vegas Club“. Im großen Neonzirkus sind es eigene Unterhaltungseinheiten mit Live-Musik, DJ-Sets und Gourmetküche auf drei Etagen. Man wolle „die Essenz von Sin City“ einfangen.
Das muss man nicht mögen. An der Kombination „99 Prozent Show, 1 Prozent Sportveranstaltung“ habe er „null Interesse“, sagte Weltmeister Verstappen nach der Eröffnungsparty. „Ich will mich immer nur auf die Leistung fokussieren. Ich mag dieses ganze Drumherum nicht.“ Es klang nach einem Fluchtversuch vor der Wucht der Unterhaltungsindustrie. Auch das gibt es im vergnügungssüchtigen Las Vegas.