Auferstehung einer Prinzessin
Was für ein effektvoller zweiter Opern- Akt! Aufgebahrt, doch nur scheintot, liegt im Sarkophag die von ihrem Ehemann vernachlässigte Prinzessin Charlotte. Der Zarewitsch hatte sie vergiften wollen, weil sie seine Mätresse nicht als Hoffräulein akzeptierte. Gift- und Schlaftrunk waren jedoch vom Arzt vertauscht worden; während die Totenmesse abgehalten wird, kann die Scheintote aus dem Sarg befreit werden.
Im Schlussakt der Oper pilgert man an den Golf von Neapel: „Santa Chiara“, die dort als Heilige verehrt wird und Kranke heilt, ist nämlich niemand anderer als Charlotte. Ihr Ehemann, der im Finale an diese Wallfahrtsstätte reist, verfällt in Wahnsinn. Was für ein Ehedrama!
Vor fast 100 Jahren aus dem Repertoire verschwunden, kann man nun „Santa Chiara“, die einst sehr erfolgreiche Oper Ernsts II. von Sachsen-Coburg-Gotha im Staatstheater Meiningen wieder erleben. Zwar bietet man szenisch keine penible theaterhistorische Rekonstruktion des 1852 in Gotha uraufgeführten Opus, aber dennoch vertraut man in der Inszenierung von Hendrik Müller – in lustvoller Distanz – auf die theatralische Wirkung des Werks.
Der Herzog war gut vernetzt in der Theaterwelt
Das gilt bereits fürs Bühnenbild. Bei der Uraufführung wurde es von der Theaterwerkstätte Brückner in Coburg geliefert, die im 19. Jahrhundert außerdem auch für Richard Wagners Bayreuther Produktionen arbeitete. Statt einem Palast im „sarmatischen Luxus“ und einem „Saal in byzantinischer Kirchenstil“ bestimmen nun eine surreale Ausstattung (Marc Weeger), groteske Frisuren und märchenhafte Kostüme (Katharina Heistinger) die Bühne. Aus einem Weinberg mit Winzern im letzten Akt ist hier eine Sportarena für die Heilige und ihre Anhängerschaft geworden.
Für den Theaterbetrieb in kleinen deutschen Residenzstädten kann „Santa Chiara“ ein sehr anschauliches Beispiel sein. Herzogs Ernst II., war nicht nur politisch, sondern auch im europäischen Kulturbetrieb sehr gut vernetzt. Charlotte Birch-Pfeiffer, die er für das Libretto gewinnen konnte, war sowohl als Schauspielerin als auch als Schriftstellerin eine unabhängige, sehr erfolgreiche Unternehmerin.
Ihr Libretto, die Bearbeitung eines Romans von Heinrich Zschokke, machte dabei auch Parallelen zu aktuellen Schicksalen am Coburger Hof sichtbar. In Hendrik Müllers Inszenierung ist Prinzessin Charlotte jetzt im wörtlichen Sinn bissig, ihre Erhöhung zur Heiligen eine Art Emanzipation (weitere Aufführungen im März, April und Juni).
Franz Liszt dirigierte die Uraufführung
Hoheit Ernst II. hat die politische Macht bei seinen musischen Ambitionen wohl zusätzlich Aufmerksamkeit und Anerkennung verschafft, doch konnte sie manchmal auch ein Bumerang sein. Wagner, den der Herzog um die Instrumentation von „Santa Chiara“ angefragt hatte, wollte nach der Revolution 1848 nicht mehr an einem Residenztheater für ein im Adelsmilieu spielendes Libretto dienlich sein.
Giacomo Meyerbeer sah dann für den Herzog die Partitur durch, Franz Liszt dirigierte die Uraufführung, und auch für das Ensemble der fusionierten Theater von Gotha und Coburg nutzten ihm seine internationalen Kontakte. Die Sängerin der Uraufführung Anna Bockholz-Falconi war zum Beispiel zuvor an der Mailänder Scala engagiert.
Lena Kutzner beeindruckt in der Titelrolle
Die Komposition des Herzogs langweilt nicht, so wie sie von der Meininger Hofkapelle unter ihrem Generalmusikdirektor Philippe Bach gespielt wird. Sie erscheint nicht sonderlich originell, aber professionell: Anklänge an Carl Maria von Weber oder an Ferdinand Marschner, an Meyerbeer, aber auch an Bellini oder Donizetti sind hörbar. Vom ebenfalls in den 1850er Jahren komponierten „Tristan und Isolde“ ist „Santa Chiara“ – trotz des gemeinsamen Todestranks – dagegen unendlich weit entfernt.
Überraschend wirkt die Ouvertüre, deren langgezogene, finstere Klänge plötzlich in schnellen Galopp wechseln. Vor allem erfreuen kann man sich in Meiningen an den effektvollen Arien, am Mezzo Marianne Schechtels als Charlottes Freundin Bertha, am Tenor Patrick Vogels, wenn er als Chevalier Victor berichtet, wie er im „Laubgebüsch“ das „Götterbild“ eines zauberischen Mädchens gesehen habe, an der Wahnsinnsausbrüchen des Zarewitsches (Johannes Mooser). Am eindrucksvollsten ist Lena Kutzner in der Titelrolle, wenn ihr als Heilige inbrünstig „neues Glück und neue Lust erblühet in heit’rer Brust“. Die Reise ins Theaterfürstentum lohnt! Zu genießen sind Opernkitsch und Trivialität, für die man sich nicht schämen sollte