Wie konnte Johnson nur an die Spitze Großbritanniens gelangen?
Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.
Am Großbritannien dieser Gegenwart ist vieles trostlos, doch das Trostloseste ist die Offensichtlichkeit. Es liegt alles kristallklar da: die Dreistigkeit, die Lügen, der Narzissmus und auch die Misogynie und die Fremdenfeindlichkeit, dass ich dachte, das lohne sich nicht, eine Kolumne über Boris Johnson zu schreiben. Als ich aber Wladimir Putin und Xi Jinping in Peking die Weltbühne ausfüllen sah, ängstigte ich mich wieder um die westliche Demokratie.
Wieso tun unsere Demokratien das?
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Johnson pöbelt und hetzt, kennt keine Scham
Warum wählen sie sich Figuren an die Spitze, nein: warum unterwerfen sie sich Johnson, Bolsonaro, Trump, die windig, nein: durch und durch unseriös sind, zudem rassistisch und nicht besonders intelligent? (Ich merke schon, heute werde ich einen Dreimonatsvorrat an Adjektiven verbrauchen.)
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In Großbritannien taten sie es, weil Johnson, der Clown, als Bürgermeister Londons (laut Johnson nach Athen und Rom die dritteinflussreichste Stadt der Weltgeschichte) und auch in seinem Privatleben, mit seinen Affären und den frauenfeindlichen Witzchen und diesem blondierten Feudel auf dem Kopf, so unterhaltsam war; ernst und anstrengend war für das Volk nach all den miesen Regierungen schon der ganze Rest des Lebens.
Und gerade weil Johnson pöbelt und hetzt, keine Eleganz und keine Scham kennt, wird er verklärt: ein angstfreier Mann, ach, der letzte echte Mann.
Boris Johnson war Journalist bei der „Times“ und log vor sich hin; für ein erfundenes Zitat wurde er entlassen. Er schrieb, als Kolumnist des „Daily Telegraph“, dass Frauen, die Burkas trügen, aussehen wollten „wie Briefkästen“ oder „wie Bankräuber“; er beschrieb das „Wassermelonenlächeln“ von Afroamerikanern und nannte schwule Männer „tank-topped bumboys“, was ich nicht übersetze, weil nicht alles Englische eine Übertragung ins Deutsche verdient.
Zunächst dementierte er noch, dass es die Party gegeben habe
16 Partys gab es in 10 Downing Street, als der Rest des Landes Johnsons Covid-Regeln folgte. Zwei dieser Partys wurden am Abend vor der Trauerfeier für Prinz Philip gefeiert, und bei dieser saß die Queen wegen Johnsons Covid-Regeln klein und einsam in ihrer Kirchenbank.
„Alle Regeln wurden befolgt“, sagte Johnson, als er noch dementierte, dass es Partys gegeben habe. Danach dementierte er, dass er mitgefeiert habe. Danach sagte er, er habe gedacht, „Arbeitstreffen“ beizuwohnen. Und all das mit dem dröhnenden Bass desjenigen, der glaubt, alles stehe ihm zu, und jegliche Kritik an ihm sei absurd, weil ja ihm alles zustehe, jederzeit.
Wir kennen das aus dem Berufsleben, und aus der Geschichte wissen wir es auch: Ein „alles halb so wild“ gibt es selten. Ein Scheitern fängt klein an, und dann wird aus einem Fehler eine Fehlerkette und nicht immer, aber oft eine Katastrophe.
Die Amerikaner kommen von Trump nicht los
Amerikas Republikaner haben den Sturm auf das Kapitol, den 6. Januar 2021, nun „einen legitimen politischen Diskurs“ genannt, da sie von ihrem Trump nicht loskommen. Ein Niedergang hört selten einfach auf. Mit einem Typen wie Boris Johnson in den Brexit und all die sonstigen Krisen dieser Zeiten zu schlingern … ach, unser verwundeter Westen.
P.S. Satz der Woche, kleiner sächsischer Exkurs: „Sehr geehrte Besucher der Bergbaufolgelandschaft des Braunkohlentagebaus Breitenfeld.“ Ich mag aneinandergeklatschte Substantive sehr, gemeint war der Schladitzer See.
P.P.S. Wort der Woche: Boris Johnson sei „Verführungsversagen“ vorgeworfen worden, sagte Susanne Daubner in der „Tagesschau“. Ich habe an dieser Stelle bereits zu Selbstironie nach Fehlern geraten, dem Eingeständnis eigener Hilflosigkeit. Boris Johnson kann das nicht, Susanne Daubner kann etwas anderes: nicht blinzeln, nicht lächeln, gar nichts ist passiert, weiter geht es.