Wenn im Blumentopf statt Frühblüher Köpfe sprießen
„Eine Zusammenfassung von allem, was war“ hat die 1984 in Syrien geborene Autorin Rasha Abbas ihren Kurzgeschichtenband genannt: Ein Titel, der in ironischer Lakonie mit der Unmöglichkeit spielt, die 21 im Buch versammelten Texte auch nur ansatzweise auf einen gemeinsamen Nenner, geschweige denn auf einen Punkt zu bringen.
Abbas’ Geschichten handeln einerseits von Krieg, Traumata und Flucht; es sind Erzählungen, die „Manifest des Hasses“ heißen oder „Im ägyptischen Knast“. Es geht in ihnen um Checkpoints, Uniformen und die Angst vor brutalen Übergriffen. Andererseits weisen diese Texte weit über jedwedes Dokumentarische hinaus, transzendieren das Konkrete, werden zu umfassenden Betrachtungen über Krisenerfahrungen, Unbehaustheit, Schuld.
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Dass Abbas, die heute als Autorin und Journalistin in Berlin lebt, bei alledem auch eine Verfechterin des Komischen und Skurrilen ist, die meisterhaft den Shift ins Absurde beherrscht, macht die Herausforderung, ihre „Zusammenfassung“ zusammenzufassen, nicht kleiner. Da spült etwa eine Frau in einem verzweifelten Akt von Realitätsverweigerung einen positiven Schwangerschaftstest in der Toilette herunter und löst damit eine heillose Wohnungsüberschwemmung aus. Oder es ist die Rede von Blumentöpfen, in denen statt Frühblühern abgetrennte Köpfe darauf warten, begossen zu werden.
Das Ensemble spielt offensiv mit dem Überbordenden des Stücks
Es ist also ein anspruchsvolles Projekt, das sich Regisseur Sebastian Nübling und das vierköpfige Schauspielensemble Karim Dahoud, Kenda und Kinan Hmeidan sowie Lujain Mustafa im Maxim Gorki Theater vorgenommen haben. Umso einleuchtender gestaltet sich ihr Konzept: Sie verdichten den Prosaband zum 80-minütigen Bühnenabend und tun das einzig Mögliche: nämlich, offensiv mit der besagten Unmöglichkeit zu spielen, ihn auf einen klar umrissenen Punkt zu bringen.
Immer wieder tritt jemand im Gorki-Container – der Zweitspielstätte – mit der Ankündigung hervor, gleich eine kurze „Zusammenfassung der ,Zusammenfassung von allem, was war’“ zu performen. Kinan Hmeidan entscheidet sich für die Stummfilm-Variante und spielt in einem Mimik-Slapstick zig Gesichtsausdrücke durch, die auf einer mobilen Videowand ins Großformat verdoppelt werden (Bühne: Evi Bauer und Sebastian Nübling). Im Stakkato switcht Hmeidan vom stummen Schrei zum erhabenen Grinsen, lässt er unmittelbares Entsetzen der distanzierten Pose stirnrunzelnder Reflexion weichen, um im nächsten Moment die Gesichtsmuskeln in einer Schockstarre einzufrieren.
Lujain Mustafa rutscht auf Knieschützern quer über die Bühne
Lujain Mustafa wiederum, die an der Ballettschule in Damaskus eine klassische Tanzausbildung erhielt und seit 2015 in Deutschland lebt, wendet die „Zusammenfassung der Zusammenfassung“ ins Choreografische, wirft sich schonungslos auf den Boden, rutscht auf ihren Knieschützern über die Spielfläche, steht auf und lässt sich erneut fallen.
Nübling und sein Team zielen mehr aufs Atmosphärische als auf die inhaltlichen Details der sieben, acht Geschichten, die sie auf der Bühne in den Fokus rücken. Nacherzählung oder illustrative Bebilderung liegen dem Abend fern; auch die Texte werden verdichtet und verschachtelt. Eher blitzen Motive auf, als dass einzelne Stränge minuziös durchbuchstabiert würden.
Ein Höchstenergie-Abend: Harte Technobeats, flimmernde Textzeilen
Unter performativen Gesichtspunkten erlebt man einen Höchstenergie-Abend: Immer wieder bewegt sich das Ensemble zu harten Technobeats übers Szenario, stemmt sich aufs Stichwort „Überleben“ gegen imaginäre Fliehkräfte oder nähert sich zögerlich einem penetrant klingelnden Telefon, durch dessen Hörer die Fragmente einer Geschichte ertönen. Dazu flimmern Abbas’ Textzeilen über die Videowände, wechselweise auf Arabisch, Englisch und Deutsch.
Die Legitimation für dieses künstlerische Verfahren liefert das Buch selbst, namentlich in seiner Auftakt-Geschichte, mit der auch der Gorki-Abend beginnt: „Mein Name ist unwichtig“, lautet dort ein leitmotivischer Satz. „Sie können mich Samt nennen.“ Die Person, die das sagt, stellt sich dabei einmal als 20-Jährige vor, die an ihrer Schauspielkarriere und ihrem Vater (ver)zweifelt, ein anderes Mal als 27-Jähriger, der über seine Wurzellosigkeit nachdenkt, dann wieder als 24-Jährige, die unter symbolträchtigem Verweis auf ihre Tattoos mutmaßt, man würde sie „auf keinen Fall zur Tochter haben wollen“ und so weiter. Überindividuell ist „Samt“ also nicht nur im Sinne des Exemplarischen, sondern vor allem auch im Sinne der Perspektivenvielfalt. Und die schafft der Abend beispielhaft. (Wieder am 17. und 18. Februar)