Vertikale Kleinstadt für Kreuzberg

29 Etagen soll das Hochhaus haben, das an der Schöneberger Straße in Kreuzberg entstehen soll. Als wenn das im traditionell hochhausskeptischen Berlin nicht schon Überraschung genug wäre, soll es zudem aus Holz gebaut werden. Genauer: als Holzhybridbau, denn der Gebäudekern mit Treppenhaus und Aufzügen wird, hiesigen Brandschutzvorschriften gemäß, aus Beton gegossen. Die einzelnen Stockwerke jedoch sollen von den Deckenträgern bis zur Fassade aus – wenn möglich heimischem – Holz bestehen.

Entworfen hat das Gebäude mit dem Akronym „Woho“ – für Wohnhochhaus – das norwegische Büro MAD Arkitekter. So ganz norwegisch ist das Team nicht, es hat eine Berliner Geschichte. Hier nämlich taten sich die drei Architekten Kurt Singstad, Trond Elverum und Nicolai Riise im Jahr 1997 zusammen; mittlerweile haben sie Niederlassungen in vier verschiedenen Städten mit Hauptsitz in Oslo. Das Berliner „Woho“ ging siegreich aus einem Wettbewerb hervor, aber das liegt auch schon wieder ein volles Jahr zurück. Bauen in Berlin ist mühsam.

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Im Aedes Architekturforum am Pfefferberg stellen MAD Arkitekter sich erstmals mit der Bandbreite ihrer Projekte vor. Vier sind beispielhaft ausgewählt, und für jedes gibt es eine eigene Broschüre – ein Novum der Galerie mit ihren längst ikonischen Katalogen im Quadratformat. Das erste trägt den hübschen Namen „Festiviteten“ und ist genau das, ein Festsaal in der norwegischen Kleinstadt Larvik, der zum sozialen Zentrum des knapp 50 000 Einwohner zählenden Städtchens ausgebaut wurde. 1874 errichtet, waren umfangreiche, denkmalgetreue Restaurierungen nötig, zugleich aber der Einbau von Gastronomie im Erdgeschoss, über der sich der doppelgeschossige Festsaal erhebt.

MAD Arkitekter nehmen Nachhaltigkeit und Nachbarschaft ernst

Ein weiteres Projekt hat die „Wiederverwendung“ eines Fünfzigerjahre-Gebäudes in Oslo zum Thema. Nachhaltigkeit ist bei MAD Arkitekter nicht nur Worthülse, sondern manifestiert sich in vermeintlichen Kleinigkeiten, wie der Aufarbeitung bereits benutzter Materialien aus diesem wie anderen Bauvorhaben. Ein mit 16 000 Quadratmetern Grundfläche ansehnliches Neubauprojekt, wobei das Büro eben nicht nur ein Bauwerk hochzieht, sondern sich sehr präzise Gedanken über eine „lebendige Nachbarschaft“ macht, die etwa in Gestalt kleiner Betriebe und Läden das Erdgeschoss des zu 90 Prozent „grünen“ Wohnkomplexes beansprucht.

Und dann eben „Woho“. Die Architekten bezeichnen das Ensemble als eine „zur Gänze funktionierende Kleinstadt“ und als „vertikale Interpretation des typischen Kreuzberger Blocks“. Die „Kreuzberger Mischung“ war zu IBA-Zeiten der 1980er Jahre so etwas wie ein Kampfbegriff gegen die funktionsgetrennten Bauten der internationalen Moderne.

Das Hochhaus besteht aus vier gegeneinander versetzten Baukörpern

So wird das „Woho“ einen zwischen sechs und neun Geschossen variierenden Sockelbereich erhalten, der sich bis zur Baufluchtlinie der Schöneberger Straße vorschiebt, während das eigentliche, 98 Meter messende Hochhaus zurückgesetzt in der ungefähren Mitte des Ensembles aufragt. Es besteht aus vier leicht gegeneinander versetzten Baukörpern, die unterschiedliche Wohnformen aufnehmen – soziale Mischung steht im Bauprogramm obenan und war einer der Faktoren für den Wettbewerbsgewinn.

Die von den Architekten vorgelegte, detaillierte Auflistung von Kleinbetrieben im öffentlichen Bereich lässt die bange Frage entstehen, ob sich diese Ideal-Mischung unter den Bedingungen des Marktes tatsächlich realisieren lässt. Ebenso ist es ein Experiment, die dritte der vier „Kisten“ für Eigentumswohnungen vorzusehen, zwischen Kiste zwei mit Sozialwohnungen und der obersten Kiste für die „Kooperative“.

Zu den vorfabrizierten Modulen gehört auch ein Wintergarten

Konstruktiv ist das Gebäude auf einem drei Meter messenden Raster aufgebaut. Das erlaubt, für die Fassade vorfabrizierte Module zu verwenden; dafür sind neun verschiedenen Ausführungen, darunter mit Pflanztrögen oder sogar ein Wintergarten-Modul, vorgesehen. Die Renderings, die das Büro MAD nun schon seit einem Jahr unverändert vorzeigt, bieten ein Bild reicher Fassaden- und Dachbegrünung.

[Aedes Architekturforum, Christinenstr. 18-19 (Pfefferberg), bis 10. März. www.aedes-arc.de]

Das ist alles bis ins Einzelne durchdacht. Es bleibt die große Unbekannte, ob die künftigen Bewohner sich an diese Vorgaben halten werden. Es scheint dem Vorhaben an einer gewissen Robustheit zu fehlen, um in einem Alltag zu bestehen, der nicht immer von hehren Gedanken an Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft geprägt ist. Aber den Versuch ist es allemal wert.