Von Freiheit und Untergang
Ruinen sind sichtbar gewordene Zeit. Stolze Bauten und Lieblingsorte zerfallen, einstige Kostbarkeiten werden zu Schrott. Die Relikte der Vergangenheit entzünden die Fantasie. Gedächtniskirche, Anhalter Bahnhof: Berlin hat Ruinen als Wahrzeichen. Auch wenn die Stadt längst nicht mehr ruinös aussieht, hat der Zahn der Zeit Spuren hinterlassen. Unsere Sommerserie folgt ihnen.
Berliner Berge werden gerne belächelt. Man unterstellt den Einheimischen, selbst mit ihren paar Hügelchen noch angeben zu wollen. Doch die Erhebungen der Stadt sind auf ihre Art monumental. Zusammengeschoben aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, begraben sie unter sich auch den mörderischen Plan einer Welthauptstadt Germania.
Das gilt in besonderer Weise für den Teufelsberg, der so zwar nach einem alten Moor im Grunewald heißt, aber unter Millionen Kubikmetern Schutt einen diabolischen Ort verschließt.
Die Wehrtechnische Fakultät sollte wissenschaftliche Grundlagen für Siege ohne Ende und die Unterjochung freier Völker liefern. Sie war Hitlers Lieblingsprojekt. Krieg sollte hier zur deutschen Ingenieurskunst werden, betrieben von einer führertreuen jungen Generation.
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Der gewaltige Rohbau stand, als 1940 die Arbeiten eingestellt wurden, um alle Energie an die Fronten zu werfen. Bis zur Kapitulation ging die Reichshauptstadt weitestgehend im Bombenhagel unter, die Wehrtechnische Fakultät jedoch zeigte sich wenig getroffen.
Selbst Sprengladungen konnten die gigantische Anlage nicht dem Erdboden gleichmachen, und so wurde sie zum Fundament eines Berges, auf den Lastwagen die Trümmer jedes dritten zerstörten Gebäudes in Berlin hinauffuhren. Jahrzehntelang dröhnte und staubte es bis schließlich Drachenberg und Teufelsberg emporragten, die einen einzigartigen Rundblick über die geteilte Stadt ermöglichten.
Zuerst gehts auf den Drachenberg
Das ungleiche Hügelpaar erhebt sich zwischen den S-Bahnhöfen Heerstraße und Grunewald und ist von ihnen in einer halben Stunde zu Fuß zu erreichen. Von der Heerstraße über die Teufelsseestraße führt eine von Regengüssen und Mountainbikern gekerbte Piste zunächst auf den Drachenberg.
Wo die Erdauflage weggespült wurde, blickt Schutt hindurch, Reste von Ziegelsteinen, mit denen die schnell wachsende Stadt einst erbaut wurde. Der Gipfel erscheint mit seinem waldlosen Plateau wie eine sanft emporgehobene Picknickwiese über der Stadt zu schweben. Der Blick schweift weit über Havelseen, Olympiastadion, Funkturm, in den Sträuchern brummen Insekten über zurückgelassenen Likörflaschen.
Riesenbovisten schimmern durch das Grün
Doch der Nachbargipfel zieht alle Aufmerksamkeit auf sich mit seinen Türmen und Kuppeln, die wie Riesenbovisten durch das Grün schimmern. Der Teufelsberg war lange die höchste Erhebung Berlins, bis man bei den Arkenbergen in Blankenfelde noch etwas Deponiemüll nachgelegt hat. Aktuelle Vermessungen belegen 120,1 Meter im Westen und 120,7 Meter im Osten.
Dabei wäre der Teufelsberg heute höher, hätten die Amerikaner im Kalten Krieg nicht sein Potenzial entdeckt. Zunächst fuhren sie mobile Antennenanlagen auf den Gipfel, später errichteten sie mit den Briten, in deren Sektor der Teufelsberg lag, eine feste Abhöreinrichtung, die Berlin Field Station. Inmitten des sowjetischen Einflussgebietes gelegen, war der Trümmerhaufen auf einmal der nächste Hügel vor Moskau geworden, ein Vorposten des Westens.
Das Riesenrad verbesserte den Empfang
Der mit Betonkantensteinen notdürftig befestigte Abstieg vom Drachenberg ist halsbrecherisch, aber unvermeidlich vor dem Erklimmen des Teufelsbergs. Auf dem Weg ist kaum jemand zu sehen an diesem Vormittag. Ein Biker mit Kamera auf dem Helm rast vorbei. Was wird auf seinem Video zu sehen sein, wo vieles von dem, was den Teufelsberg prägte, kaum noch zu erahnen ist?
Skilift und Schanze, Weltcup-Slalom und Weinberg, all diese Attraktionen sollte der Trümmerberg den Westberlinern bieten. Doch man hatte die Rechnung weder mit der Natur noch mit den Alliierten gemacht. Die wollten keine Aufläufe rund um ihren Lauschposten, der militärisches Sperrgebiet war. Das Riesenrad auf dem Volksfest am Hüttenweg hingegen soll den Empfang ihrer Anlage noch verbessert haben.
Bis wohin reichten die Antennen, die sich unter den bespannten Kuppeln drehten? „Wir können Breschnjews elektrische Zahnbürste hören“, lautete eine Antwort, die den Segen der NSA hatte. Der US-Geheimdienst war damals noch geheimer als heute und hatte das Sagen auf dem Teufelsberg.
1000 Soldaten, Dreischichtbetrieb
Mehrfach zeichnete er die Berlin Field Station als hervorragenden Lauschposten aus. 1000 Soldaten, Dreischichtbetrieb, jeden Tag zwei Tonnen Papier mit als nicht relevant eingestuften Funksprüchen. Sie landeten in einer der letzten Gerätschaften, die heute noch in den Ruinen steht: einem riesigen Schredder. Vor der Besichtigung muss die Kasse passiert werden, an der acht Euro an den Pächter des Areals fällig werden. Dass hier einmal ganz andere Geschäfte gemacht werden sollten, verrät ein übersprühtes Schild: Attraktiv / mit Balkon / Fertigstellu / Besuchen Sie / Beratung und / Terminverein.
Nach Abzug der Alliierten drehten sich die Antennen noch eine kurze Zeit für die zivile Luftfahrt, dann fiel der Teufelsberg zurück an die Stadt. Die war klamm und überfordert und so verkaufte sie 1996 das Areal für 5,2 Millionen DM. Doch das ist, wie vieles rund um die höchstgelegene Ruine Berlins, nicht ganz sicher.
Millionen Schulden lasten auf dem Grundstück
Es heißt, die Investoren hätten nur die Hälfte an die Stadt gezahlt und wollten den Rest bei Fertigstellung ihrer Pläne 2001 überweisen. Nur: Lofts (die höchste Wohnung der Stadt!), Fünfsternehotel, Büros und Ateliers entstanden hier nie. 2004 wehrte sich der Senat, der längst wusste, dass er mit dem Verkauf einen Fehler gemacht hatte.
Im Flächennutzungsplan wurde der gesamte Berg zu Wald erklärt, was der aktuellen Situation nahekommt. Eine Bebauung war so unmöglich geworden. Die Eigentümer gaben den Berg dennoch nicht reumütig an die Stadt zurück. Inzwischen sollen 22 (oder auch 35) Millionen Euro Schulden auf dem Grundstück lasten.
Sprayer und Spiritualisten
Seitdem wechseln sich auf dem Gipfel Visionen und Vandalismus ab, Partys und Pächterwechsel, Sprayer und Spiritualisten. Regisseur David Lynch legte den symbolischen Grundstein für eine „vedische Universität“, an der 1000 yogische Flieger ausgebildet werden sollten, die Deutschland unbesiegbar machen würden.
Ob Lynch das wirklich ernstgemeint hat? Heute liegt im Gestrüpp das Plakat für einen Vertical Dance Workshop: „Come, fly with us!“ Eine Ausstellung unter dem Titel „Slow Moves“ kombiniert am Wegesrand rostige Fitnessgerätschäften mit erblindeten Discokugeln. Auf dem Teufelsberg geht alles langsam und immer nur so weit, dass die Bauaufsicht den Parcours durch eine geborstene Vergangenheit und ihre bröckelnde Übermalung nicht komplett schließt.
Viel Untergang und etwas Freiheit
Zwischen den Kuppeln der Radome zu stehen, den Wind in ihren zerschlissenen Planen rumoren zu hören, über die dystopische Graffitilandschaft zu blicken – das erzeugt ein Berlingefühl von viel Untergang mit einem Hauch von Freiheit. Doch die Handschrift der Künstler, die hier schon lange ohne Verträge arbeiten, verblasst. Spuren ihrer alternativen Lebensmodelle hier oben sind nur noch von Urbanarchäologen zu lesen, die irgendwann einmal den komplexen Austausch zwischen Tacheles und Teufelsberg aufarbeiten werden. Untergegangene Kulturen und wieder einmal neue Pläne: Das Alliiertenmuseum will von Tegel heraufziehen, Ateliers und Galerien sollen entstehen.
Zu ahnen ist davon nichts, die Politik verweist auf lange Entscheidungswege. Unterdessen rückt der Wald immer näher heran. Dem Aktionsbündnis Teufelsberg ist das recht. Es plädiert seit langem dafür, nur den großen Turm der Berlin Field Station zu erhalten – für eine Ausstellung samt Café. Der Rest der Anlage soll überschüttet und begrünt werden, der Schlagbaum am Eingang endgültig fallen. Zwölf Meter würde der Gipfel des Teufelsbergs damit wachsen, er wäre dann wieder die größte Erhebung. Und Berlin um eine Ruine ärmer.