Der nächste Skandal oder doch nur indonesisches Puppentheater?
Noch fünf Wochen dauert es bis zum Ende der Documenta. Aber ein Ende, dass die international wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst ihr antisemitisches Image abschütteln würde, ist nicht in Sicht. In der vergangenen Woche gab es erneut ein Beben in Kassel. Wieder wurde ein inkriminiertes Bilder entdeckt und wieder zwar nicht die Schließung, aber ein Förderstopp gefordert.
Man könnte es kokett als den Documenta-Ritus bezeichnen, wäre damit nicht tragischerweise ihre weitere Demontage verbunden und der Antisemitismus in unserer Gesellschaft, nicht nur in ausgestellten Werken ein viel zu ernstes Thema. So äußerte sich Julia Alfandari von der Bildungsstätte Anne Frank, die auf der Documenta mit einem Informationsstand Aufklärungsarbeit leistet, ebenfalls diese Woche darüber erschüttert, wie selbstverständlich „krude antisemitische Verschwörungstheorien“ von Bildungsbürgern geäußert würden. Auch im Documenta-Publikum gäbe es wenig Wissen über Antisemitismus.
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Doch damit nicht genug. Als neue Spielart der Auseinandersetzungen hat sich der britische Documenta-Teilnehmer Hamja Ahsan mit einem Facebook-Post eingeschaltet, in dem er Bundeskanzler Scholz als „faschistisches Schwein“ bezeichnete. Schon zuvor gab es Diskussionen um seine auf dem Documenta-Gelände installierten Leuchtkästen mit einem Hähnchen. Die fiktive Imbissbuden-Werbung soll satirisch auf die zunehmende Islamophobie in England aufmerksam machen. Nach seiner jüngsten Aussage darf der in Bangladesh geborene Brite auf der Documenta zwar nicht mehr öffentlich auftreten, seine Werke bleiben trotzdem hängen.
Natürlich wurde diese Entscheidung der künstlerischen Leitung ebenfalls scharf kritisiert. Wie auch immer sich das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa zu den beinahe wöchentlich aufploppenden Funden und daraus resultierenden Vorwürfen verhält, es ist immer falsch – zumindest diese Erkenntnis dürfte als gesichert gelten.
In der Politisierungsfalle
Wie wenig es Ruangrupa gelingen kann, die Documenta wieder auf eine Kunstausstellung runterzupegeln und aus der Politisierungsfalle herauszukommen, zeigt der jüngste Fall. So hatte der Vorsitzende Constantin Ganß des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bei einem anderen Werk von Taring Padi im Hallenbad Ost eine weitere antisemitische Darstellung entdeckt. Genauer: auf dem gemeinsam mit dem US-amerikanischen Kollektiv Just Seed aus Portland entstandenen großformatigen Bild „All Mining is Dangerous“ aus dem Jahr 2000, das unter anderem vier Figuren zeigt, die Geldsäcke untereinander aufteilen. Ganß identifizierte die nachträglich überklebte Kopfbedeckung einer Figur als Kippa und empörte sich über diese Maßnahme.
Wenn es so gewesen wäre. Nach einer Erklärung von Ruangrupa handelt es sich stattdessen um eine Figur aus dem in Indonesien populären Puppentheater Wayang. Sie trage die typische indonesische Kopfbedeckung „Kopiah“, auch „Songkok“ oder „Peci“ genannt, die anders als die Kippa bis zu den Ohren reicht. Um eine Verwechslung zu vermeiden, als Präventivmaßnahme gegen mögliche Fehlinterpretationen, hätte Taring Padi kurz nach dem Skandal um ihr auf dem Friedrichsplatz abgehängtes Banner die Kopfbedeckung der Figur überklebt, was ihnen als Künstler freistände, wie es hieß.
Auch wieder falsch, lässt sich im Nachhinein feststellen. Prompt forderte die Vizevorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Dorothee Bär (CSU) einen vorläufigen Stopp der Bundesförderung. Vermutlich hätte Ruangrupa gleich öffentlich die Hintergründe des auf Stoff gedruckten Holzschnitts erläutern sollen, das sich mit der Ausbeutung durch Bergbau in Indonesien beschäftigt, – und nicht nur den Documenta-Gesellschaftern sowie dem Antisemitismusbeauftragten des Landes. Nun soll die einberufene Expertenkommission entscheiden, ob die Darstellung antisemitisch ist oder nicht – bis zum nächsten Fall und dem Ende der Documenta.