Wippe in Mitte: Stoppt das Einheitsdenkmal!
Es gibt Projekte, in denen ist derart der Wurm, dass sie am besten abgebrochen werden – selbst wenn das viel Geld kostet. Lehrgeld, kennt jede Firmenleitung. Deutsche Politiker und Verwaltungen aber schrecken bekanntlich selbst in krassen Fällen vor dieser Erkenntnis zurück. Egal, wie stark die Einwände, die Kostensteigerungen, die Verzögerungen sind. Hauptsache, man muss nicht zugeben, einen Fehler gemacht zu haben.
Das Einheits- und Freiheitsdenkmal auf dem Schlossplatz ist ein solcher Fall. Es sollte schon x-mal übergeben werden. Fledermäuse, Denkmalpfleger, Techniker, die Komplexität der Schwungmechanik für die Riesenschale, jetzt Materialmangel verhinderten angeblich die Fertigstellung. Angeblich.
Tatsächlich ist der Grund ein anderer. Praktisch niemand außer den Architekten und den Initiatoren um den einstigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der auf seine Kollegen ungeheuerlichen moralischen Druck ausübt – er behauptet: „Wer dagegen ist, will die Leistungen der Ostdeutschen nicht anerkennen.“ – möchte dieses Projekt noch realisiert sehen.
Nikolaus Bernau sieht es als Glück an, dass dieser Bau noch nicht fertiggestellt wurde.
Alle Einwände gegen die „Einheitswippe“ haben bis heute Bestand: Es steht am falschen Ort – der Sockel des einstigen „Nationaldenkmals“ für Kaiser Wilhelm I. ist einer der ganz wenigen Orte in Berlins Mitte, die rein gar nichts mit der Friedlichen Revolution von 1989 zu tun haben, an die dieses Denkmal erinnern soll. Die Schale soll durch eindimensionale Neigung nur nach rechts oder links, verursacht durch sich in ihr bewegende Menschen, Demokratie symbolisieren.
Dieser Zwang zur Polarisierung behauptet also, dass die Mehrheit alleine entscheidet. Aber westliche Demokratien zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie auf den Rechtsstaat Rücksicht nehmen müssen, dass sie Rücksicht auf Minderheiten nehmen, diese nicht wegwippen. Dass Geh- und Sehbehinderte nur in die Mitte der Schale gehen dürfen, sonst aber aus Sicherheitsgründen keinen Anteil haben dürfen an „Bürger in Bewegung“, bestätigt die Eindimensionalität der Botschaft. Ebenso die anmaßende Inschrift: „Wir sind das Volk“. Alle außerhalb der Schale sind also entsprechend nicht „das Volk“?
Es geht hier nicht um die Ästhetik – auch wenn der Nicht-Bau dieser Goldschüssel sicher eine Wohltat für die nachgebauten Schlossfassaden wäre. Es geht um die Botschaft, die der Entwurf verkündet: 1989 ging es gerade um die große westliche Idee, dass Demokratie, Rechtsstaat und Rücksicht auf Minderheiten unabdingbar zusammengehören, dass niemand diskriminiert werden soll, dass nicht alle Menschen in eine Schüssel passen müssen, um „das Volk“ zu sein. Nichts davon ist in diesem Denkmalentwurf zu sehen.
Zu schlechter Letzt: Das Denkmal muss wie ein Riesenradiator beheizt werden, damit man bei Kälte nicht ausrutscht. Deutschlands Antwort auf den Klimawandel – wir heizen die Luft. Wie fatal muss ein Projekt in Deutschland eigentlich sein, damit es gestoppt wird?