„Ein gestandener Zuspieler, der keine Anführung braucht”
Es war immer das gleiche Prozedere: Wenn ein Spiel der BR Volleys endete, dann konnte Ruben Schott kaum verschnaufen, geschweige denn einen Schluck trinken, schon stürmten sämtliche Pressevertreter*innen auf ihn zu.
Das lag sicherlich auch an seinen interessanten Überlegungen zum Spiel, aber wohl maßgeblich daran, dass er in der vergangenen Saison neben Georg Klein der einzige deutsche Spieler der Mannschaft war. Abgesehen von Cody Kessel kamen die meisten Teamkollegen nicht über ein paar Floskeln hinaus.
In der kommenden Saison könnte sich das ändern: Zum einen, weil Mittelblocker Anton Brehme zurückkehrt und zum anderen, weil die Volleys den 25-jährigen Zuspieler und deutschen Nationalspieler Johannes Tille verpflichtet haben. „Wir sind bestrebt deutsche Spieler zu verpflichten. Und selbst wenn es womöglich einen ausländischen Spieler auf der Position gibt, der genauso gut ist, würde ich immer den Wechsel bevorzugen“ sagt Geschäftsführer Kaweh Niroomand.
„Für uns ist es eine tolle Sache, dass Tille kommt.“ Schon zeitig sei klar gewesen, dass die Volleys ihn verpflichten wollten. „Man merkt, dass er sich freut. Er sagt, dass es sein Traum sei nach Berlin zu kommen. Er hat einen tollen Charakter.“
Der Bayer spielte in der Bundesliga zuletzt in Herrsching, bevor er in der vergangenen Saison nach Frankreich wechselte. Dort hatte er reichlich Pech: Eigentlich hatte er mit der Aussicht unterschrieben, in der ersten Liga zu spielen, sein Verein Saint-Nazaire verpasste jedoch den Aufstieg und so spielte Tille stattdessen in der Ligue B, in der er mit seinem Team immerhin die Meisterschaft gewann.
„Es war ein mental schwieriges Jahr für mich“, sagt Tille. „Das Umfeld war nicht ideal, die Stadt nicht sonderlich schön und die Hälfte der Spiele auch nicht auf dem Niveau, das ich mir gewünscht hätte.“ Immerhin habe er gelernt, Verantwortung zu übernehmen und dem Druck als Favorit standzuhalten.
Ein Zuspieler fehlt den Volleys noch
Diese neu erworbenen Fähigkeiten wird Tille in Berlin brauchen, denn dort hat Zuspieler und Führungsspieler Sergej Grankin sich jüngst verabschiedet. Eigentlich war Tille als zweiter Zuspieler und Nachfolger für Matt West vorgesehen, aber nun hat sich die Situation grundlegend geändert. „Grankin sollte seine Erfahrung weitergeben“, sagt Niroomand. „Das fällt nun aus, wir müssen sehen, wie sich die Nachfolgesituation gestaltet. Wir hoffen einen erfahrenen Mann zu finden.“
Trotzdem betont er: „Auch Tille ist kein Anfänger. Er ist durchaus in der Lage dazu, ein Spiel von Anfang an zu spielen und zu gestalten. Er ist ein gestandener Zuspieler, der keine Anführung braucht.“
Auch Trainer Cédric Enard freut sich auf den Neuzugang: „Er ist einer der jungen deutschen Zuspieler der nächsten Generation, die das Potenzial besitzen, das höchste Niveau zu erreichen.“ Das wird Tille bereits in den kommenden Wochen unter Beweis stellen können, wenn er mit der Nationalmannschaft an der Nations League teilnimmt und zum Auftaktturnier nach Kanada reist.
Die Volleys stehen nun trotzdem vor der Herausforderung einen weiteren Zuspieler zu verpflichten. „Es ist sehr schwer jemanden zu finden, der unsere Anforderungen erfüllt. Das braucht Zeit“, sagt Niroomand. Denn die Fußstapfen, die der beste Zuspieler der Liga und Olympiasieger, hinterlässt, sind riesig.
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Dass der Russe den Verein verlassen würde, stand lange nicht fest, zumal sein Vertrag erst 2023 ausgelaufen wäre. Aber Niroomand weiß: „Für Sergej waren es keine einfachen Wochen und Monate.“
Schließlich lebt seine Familie noch in Russland und seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges wurde es zunehmend schwierig, den Kontakt zu halten. „Das sind menschliche Momente. Die kann man von außen nur rational abarbeiten, aber tatsächlich stellen sie sich anders dar. Da hat es keinen Sinn auf den Vertrag zu pochen.“
Und so ist durchaus denkbar, dass Tille in der kommenden Saison viele Einsätze erhält und möglicherweise sogar in der Champions League zum Zug kommt. Eines steht aber schon jetzt fest: Bei den Interviews wird Tille punkten und sogar gegen Grankin bestehen können. Der war nämlich immer auffällig schnell verschwunden, wenn der letzte Satz vorbei war und es um seine Einschätzung des Spiel ging.