„Ein Fußball, der nur ein Angebot für Puristen sein will, wird auf Dauer ein Nischenthema werden“
Geht es nach den Verantwortlichen von Manchester City, wird man ein Heimspiel des englischen Meisters bald auch im eigenen Wohnzimmer miterleben können. So als wäre man live dabei. Als erster Fußball-Club der Welt will City sein Stadion in einer virtuellen Welt nachbauen, dem Metaverse.
Fans sollen sich dann nur noch eine spezielle Brille aufsetzen müssen, um sich wie im richtigen Stadion zu fühlen. Und der Club kann in seiner virtuellen Arena unbegrenzt Eintrittskarten verkaufen. Das ist grob gesagt der Plan.
Die Digitalisierung verändert auch rund um den Fußball sehr viel: die technischen Möglichkeiten, die Mediennutzung junger Fans. Der Zukunftsforscher Marcel Aberle vom Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main und Wien glaubt zwar nicht, „dass ein virtuelles Stadionerlebnis jemals ein echtes Stadionerlebnis ersetzen kann“.
Er warnt aber gerade den deutschen Profifußball davor, diese technischen Entwicklungen nicht zu verschlafen. Denn eine Generation, die mit Smartphones und Sozialen Medien aufwächst, wolle ein Sportereignis nicht mehr bloß 90 Minuten passiv konsumieren.
„Fußball-Clubs stehen in Konkurrenz zu allen anderen Erlebnisbranchen, nicht bloß zu anderen Fußball-Clubs. Und ich habe häufig das Gefühl, dass viele das noch nicht verstehen“, sagte Aberle der Deutschen Presse-Agentur.
Im März besuchte er in den USA ein Basketball-Spiel der Brooklyn Nets. Es sei „ein Wahnsinn, was man dort in Sachen Interaktion mit und Bindung an die Zuschauer unternimmt“, erzählte der IT-Experte. „Jeder Fan konnte sein eigenes Video vom Handy auf die große Leinwand in der Halle projizieren.“ Beim Fußball dagegen sehe er in dieser Hinsicht „noch viel Spielraum und null Kreativität“.
Die Deutsche Fußball Liga als Dachverband der 36 Proficlubs hat das Problem erkannt. „Vor uns liegen unglaublich große Chancen“, sagte die Geschäftsführerin Donata Hopfen bei der Technologie-Messe „Sports-Innovation 2022“ in Düsseldorf.
Der VfL Wolfsburg versteht sich als „360-Grad-Plattform“
Bei einem „Innovationsspiel“ zwischen dem 1. FC Köln und dem AC Mailand sollen die Profis im Juli mit einer Kamera am Körper auflaufen, damit die Zuschauer das Spiel auch aus deren Perspektive verfolgen können. Denn Hopfens Anspruch ist: „Wir wollen die digitalste Fußball-Liga der Welt sein!“
Die Frage ist nur, wer diesen Anspruch im deutschen Fußball sonst noch vertritt. Denn die Modernisierung im Allgemeinen und die Digitalisierung im Speziellen ist ein Thema, gegen das sich einige Fankurven und Vereine offen positionieren. Ganz so, als sei die Frage: Moderne oder Tradition? Und nicht etwa: Wie passt beides zusammen? „Fußball findet offline statt“, war im April auf einem Stadionbanner beim Spiel Eintracht Frankfurt – SC Freiburg zu lesen.
Wenn es um die Zukunft dieses Sports geht, ist in der Bundesliga kaum ein Club so weit wie der VfL Wolfsburg. Der VfL versteht sich nicht mehr nur als klassischer Verein, an den man sich per Mitgliedsantrag und -beitrag bindet. Sondern eher als „360-Grad-Plattform“, die sich mit möglichst vielen anderen Institutionen vernetzt.
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„Im Umland von einer Autostunde rund um Wolfsburg gibt es 350 Vereine, von denen 200 eine Partnerschaft mit uns haben“, erklärte Geschäftsführer Michael Meeske. „Diese Vereine erhalten von uns Ticketkontingente, Einkaufspreisrabatte bei unserem Ausrüster, Trainerschulungen, Managementschulungen für Spartenleiter, Online-Seminare, kleine Turniere mit anschließenden Stadionbesuchen.“
Auch Meeske weiß: Dass es am VW-Standort Wolfsburg mehr Geld und kürzere Wege gibt, erleichtert dem VfL bei diesem Thema einiges. Aber dem früheren Geschäftsführer des FC St. Pauli geht es ganz grundsätzlich um die Frage, wie man Kinder auch in Zukunft an den Sport binden kann.
„Ein Fußball, der nur ein Angebot für Puristen sein will, wird auf Dauer ein Nischenthema werden und – so glaube ich – immer weniger massenkompatibel sein“, sagte er. „Es wird immer eine Zielgruppe dafür geben. Aber die wird immer kleiner.“
Junge Leute finden dreistündige Baseball-Spiele häufig langweilig
In den USA gibt es dafür ein Beispiel, das nicht 1:1 mit dem Fußball zu vergleichen ist, aber dennoch eine alarmierende Wirkung auf Meeske hat. Baseball war der Nationalsport des 20. Jahrhunderts in Amerika – bis er es im Gegensatz zum American Football und dessen erfolgreicher Profiliga NFL versäumte, sich für eine junge Zielgruppe zu öffnen.
Baseball-Spiele dauern teilweise drei Stunden. Junge Leute finden sie oft langweilig. Und so sahen das entscheidende Spiel der vergangenen Baseball-Saison in den USA nur 11,75 Millionen Fernsehzuschauer, während beim Super Bowl 99 Millionen einschalteten. Dem bekanntesten Baseball-Profi Mike Trout folgen bei Instagram 1,9 Millionen Menschen. Bei Football-Star Odell Beckham Jr. sind es 16 Millionen.
Doch zurück zum Fußball. Dort bekam der Münchner Grafikdesigner Mirko Borsche den Auftrag, ein neues Logo für den italienischen Club Inter Mailand zu entwerfen. Sein mehrfach ausgezeichnetes Studio arbeitete zuvor schon für die Biennale in Venedig oder die Kleidungsmarke Supreme in New York. Aber noch nie für einen Kunden aus dem Fußball.
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„Der Inter-Präsident Steven Zhang war zu dem Zeitpunkt erst 27 Jahre alt und denkt wesentlich digitaler“, sagte Borsche der Deutschen Presse-Agentur. „Bei dem neuen Wappen ging es darum, eine schnelle Wiedererkennung zu schaffen. Wenn man auf einem Mobilfunkgerät auf die Tabellen von Sportseiten oder die Angebote von Wettanbietern schaut, sollte ein Vereinswappen sofort erkennbar sein. Wenn sich immer mehr Menschen die Spiele auf ihrem Handy ansehen, muss das Logo auch auf der Brust der Spieler erkennbar sein.“
Borsches Team veränderte deshalb den Blauton und entfernte zwei von vier Buchstaben aus dem Wappen. Die Resonanz vieler Fans war sehr kritisch („Ich kenne jetzt fast jedes italienische Schimpfwort“). Aber es dauerte nach diesem „Rebranding“ auch nicht einmal ein Jahr, bis Inter einen Vertrag mit einer italienischen Edelmodemarke abschloss, weil der neue Markenauftritt nun so modern daherkommt.
Über die Wappen der deutschen Clubs sagt er: „HSV, 2. Bundesliga! Sonst wird den modernen Ansprüchen an ein visuelles Erscheinungsbild kaum einer gerecht.“ Und so schauen der Grafikdesigner Borsche, der Zukunftsforscher Aberle und der Fußball-Manager Meeske zwar aus drei unterschiedlichen Perspektiven auf den deutschen Profifußball, kommen aber alle zu einem ähnlichen Urteil. „Fußball-Clubs sind auf der strategischen Ebene häufig sehr schlecht aufgestellt“, so Aberle. (dpa)