Deutsche Oper Berlin: Höllenfahrt mit Puccini
Am heikelsten ist der Mittelteil: An den Beginn seines „Trittico“ setzt Giacomo Puccini eine Dreiecksgeschichte mit mörderischem Ausgang, das Finale bildet eine krachlederne Komödie. Im Zentrum des 1918 an der New Yorker Metropolitan Oper uraufgeführten Einakter-Triptychons aber steht die Geschichte von Angelica, einer jungen Adligen, die unverheiratet schwanger wird, ihr Kind austragen darf, dann aber ins Kloster gesperrt wird.
Sieben Jahre muss sie warten, bis endlich eine Verwandte zu Besuch kommt. Doch ihre Tante straft die Sünderin weiterhin mit Verachtung. Erst als Angelica darum fleht, etwas über ihren Sohn erfahren zu dürfen, erklärt die Zia Principessa hartherzig, dieser sei bereits vor zwei Jahren gestorben.
So, wie der italienische Komponist das Klosterleben schildert, kann „Suor Angelica“ leicht zum klingenden Heiligenbildchen werden, zum Gänsehaut-Kitsch, gerade in der Schlussszene, wenn die Protagonistin Selbstmord begeht, um im Himmel ihrem Kind nahe sein zu können.
John Fiore aber weiß genau das rechte Maß zu wahren zwischen Sentimentalität und Sinnlichkeit. Ganz zart mischt er bei der „Trittico“-Premiere an der Deutschen Oper die Klangfarben, aquarelliert, statt dick aufzutragen. Und das Orchester des Hauses schwingt sich sofort auf Fiores interpretatorische Linie ein, gleitet durch die atmosphärischen Wechsel, umhüllt die Sängerinnen bei „Suor Angelica“ akustisch mit einem zartblauen Madonnenmantel.
Auch in den anderen beiden Kurzopern lässt es John Fiore nie krachen, zügelt die Lautstärke, wo immer es geht, setzt auf Eleganz statt auf überschießende Emotion. Was umso beachtlicher ist, weil er erst wenige Tage vor der Premiere zum Produktionsteam gestoßen ist, als Einspringer für den mal wieder überraschend erkrankten Generalmusikdirektor Donald Runnicles.
Fegefeuer unter der Treppe
Fiores Feinschliff steht am Samstagabend in maximalem Kontrast zur optischen Seite der Neuinszenierung: Regisseurin Pinar Karabulut, Bühnenbildnerin Michael Flück und Kostümdesignerin Theresa Vergho kennen keinerlei Zurückhaltung, gehen sofort in die Vollen: Wie ein unaufgeräumtes Kulissenlager präsentiert sich die Szene, hier ein Pappmaché-Berg in Purpur, dort ein Kirchlein, hier eine Treppe, die ins Nichts führt, unter deren Stufen aber aufgemalte Höllenflammen lodern, dort ein Steg über einer schlammigen Pfütze.
Die Ordensfrauen bei „Suor Angelica“ sehen mit ihren grünen Flügelumhängen und den stilisierten Hörnchen auf den glänzenden Badekappen aus wie Kartoffelkäfer in der Zeichentrickserie „Biene Maia“, die böse Tante kommt als Claudia-Roth-Double daher. Und doch schaffen es Mané Galoyan und Violeta Urmana, dem Duell-Duett zwischen der gefallenen Jungfrau und der alten Jungfer dramatische Fallhöhe zu geben, rein musikalisch die Dimensionen des Konflikts zu verdeutlichen – und so dem Publikum ans Herz zu greifen.
Parodie und Klamauk
Im eröffnenden „Tabarro“ gelingt das weniger gut, Carman Giannattasio bleibt stimmlich blass, als ihr Liebhaber ringt Jonathan Tetelman die Hände und protzt mit seinem tenoralen Material, während Misha Kiria als betrogener Ehemann zwar einen grandiosen Heldenbariton hören lässt, zur Untermalung seiner Gefühle aber lediglich mit der linken Pranke Luft schaufelt.
Soll diese Nicht-Regie eine Parodie sein auf altmodisches Rumstehtheater? So wie die Zappel-Groteske im „Gianni Schicchi“ eine Hommage an den großen Herbert Fritsch? Eindrucksvolles leisten die Maskenbildner der Deutschen Oper hier, und auch das Ensemble gibt sich dem Klamauk vollumfänglich hin. So hat Dante, in dessen „Göttlicher Komödie“ Puccini die Anekdote fand, das jedoch gemeint.
Sein Witz zündet dadurch, dass der gerissene Aufsteiger Gianni die Snobs der alteingesessenen Noblesse übers Ohr haut. Ohne diese sozialkritische Dimension bleibt das krasse Kalauern von Karabulut letztlich Käse: Feta der Klamotte.