Die Schöne und der Dieb
New York in den 1950ern. Berufsverbrecher Terry Cole, Hauptfigur in Enrico Marinis Comic „Noir Burlesque“ (Übersetzung Christiane Bartelsen, Carlsen, Band 1, 100 S., 24 €) überfällt Juwelierläden, um die Schulden seines Bruders bei Nachtclubbesitzer und Gangsterboss Rex McKinty zu begleichen. Demütig wird er deshalb keineswegs. Wenn ihm ein Barkeeper blöd kommt, kriegt der genauso auf die Nase wie die schweren Jungs in Rex’ krimineller Organisation, die den provokanten Terry nicht leiden können.
Noch unvernünftiger und gefährlicher ist, dass sich der Räuber auf eine Affäre mit der schönen Debbie Hollow einlässt. Die macht unter dem Namen Caprice als verführerische Burlesque-Tänzerin die Männer in Rex’ Club reihenweise verrückt. Allerdings sind das rothaarige Showgirl und der Boss zusammen, und so scheint es nur eine Frage der Zeit, bis Terrys Schwierigkeiten größer werden …
Enrico Marini, Schweizer Künstler mit italienischen Wurzeln, wurde international geprägt: Von Comic-Klassikern aus Italien wie der Krimi-Reihe „Diabolik“ und der Western-Serie „Tex“, aber auch „Micky Maus und „Donald Duck“, Manga oder den Werken von Hermann, Bernet und Moebius.
Heute kennt man den 1969 geborenen Marini selbst für europäische Top-Titel, darunter „Der Skorpion“ und „Die Adler Roms“. 2017 sorgte er als Autor und Zeichner von „Batman: Der dunkle Prinz“ auf beiden Seiten des Atlantiks für Furore. Im Auftaktalbum seines neuen Zweiteilers „Noir Burlesque“ inszeniert Marini klassischen, in dieser Hinsicht geradezu perfekten Krimi-Pulp.
Das heißt zugleich, dass er den Regeln und Mustern folgt, die bis in die amerikanischen Literaturmagazine der 1920er und 1930er zurückreichen. Einige Dinge, allen voran die toxische Männlichkeit und die verhängnisvoll-schöne Femme fatale, entsprechen daher kaum den heutigen Maßstäben. Die altmodischen Tropen gehören jedoch zu dieser traditionsbewussten Spielart des Crime Noir, und Marini erfüllt mit sichtbarem Genuss alle Parameter.
Selbstverständlich auch visuell, nachdem die expressionistischen Schwarz-Weiß-Filme vergangener Epochen Kino und Comic bis heute geprägt haben. Marini nutzt folgerichtig die Archetypen des gesamten Genres und die Bildsprache mehrerer verwandter Medien.
[Enrico Marini ist diese Woche auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen zu Gast. Am 18.6. um 13 Uhr gibt es ein Künstlergespräch mit ihm, das Martin Jurgeit moderiert. Man kann ihn zudem von Freitag bis Sonntag bei Signierstunden treffen.]
Ob Gewalt oder Sinnlichkeit: Seine stimmungsvollen Graustufen-Seiten sehen stark aus, wirken quasi filmreif. Rot dient in den Panels als Schmuckfarbe und kommt bei Caprice’ Haar, ihrem Cabrio oder allgemein bei Blut effektiv zum Einsatz.
Alle, die diese Sorte Noir-Krimi zwischen Dashiell Hammett, Donald E. Westlake, Frank Miller, Jordi Bernet und Darwyn Cooke zu schätzen wissen, dürften von Enrico Marinis Comic begeistert sein.