Jazzgitarrendämmerung: „Music for Black Pigeons“ im Kino
Fürs erste: Kein Wort von Jazz. Sogar dem Altsaxofonisten Lee Konitz, der im Laufe seines 92-jährigen Lebens so ziemlich alle Stilwelten im Gefolge des Bebop durchquert hat, schwindelt vor der schnellen Zuordnung von Jakob Bros Musik. An ihr, sagt Konitz, sei eigentlich nicht viel dran. Sie lebe von einfachen Rhythmen und einfachen Melodien, sie habe fast etwas Folkloristisches. Aber wie soll man sie bezeichnen? Und so findet er erst im Nachhinein ein Bild für den antivirtuosen Klangzauber, dem er sich bei allem Unverständnis einfügte, als hätte er nie etwas anderes gespielt.
Konitz, berichtet Bro, habe ihn eines Tages angerufen und gesagt, dass sich beim Anhören von „Balladeering“, dem Auftakt zu insgesamt drei gemeinsamen, in den New Yorker Avatar Studios aufgenommenen Alben, eine schwarze Taube auf seinem Fensterbrett niedergelassen habe und erst davongeflattert sei, als der letzte Ton verklungen war. Da sei ihm aufgegangen, dass dies „Music for Black Pigeons“ sei, wie man kurz vor Ende des gleichnamigen Dokumentarfilms von Jørgen Leth und Andreas Koefoed erfährt.
Was immer sich der dämmrig schwebenden Musik des dänischen Gitarristen an hypnotischer Kraft nachsagen lässt, man muss nichts in sie hineingeheimnissen. Die transatlantischen Netzwerke, in denen sich ihre elegische Konzentriertheit ausgebildet hat, reichen bis ins letzte Jahrtausend zurück, und dass sie inzwischen beim Münchner Label ECM erscheint, ist kein Zufall. Der durchaus wortreiche Mangel an Worten, dem Konitz Ausdruck verleiht, geht sicher auch auf einen Hauch altersbedingter Verwirrung zurück. Einmal sieht man ihn in ein Yellow Cab steigen, das ihn zu einem berühmten Musikladen chauffieren soll. Er kann dem Fahrer aber selbst nach mehrfacher Nachfrage weder Namen noch Gegend nennen und steigt schließlich, auch über sich selbst verärgert, unverrichteter Dinge wieder aus.
Planetares Kräftesystem
Der 2020 verstorbene Konitz ist so etwas wie der erratische Mond, der um Jakob Bros in sich ruhende Erde kreist. Ein Gestirn, das zum planetaren Kräftesystem einer Musik gehört, in dem bis zu ihrem Tod auch der amerikanische Schlagzeuger Paul Motian, der polnische Trompeter Tomasz Stanko und der norwegische Drummer Jon Christensen zu Hause waren: Ihrer aller Gedenken ist dieser Film gewidmet.
Die beiden Regisseure haben über 14 Jahre hinweg beobachtet, mit wem ihr 45-jähriger, immer wieder aus dem erzählerischen Zentrum entschwindender Protagonist auf seinen Wegen zusammengefunden hat. Das Wenigste davon wird erklärt: Bros musikalische Biografie gewinnt nicht mehr Umrisse als die Akkorde, die er spielt. Das Solo ist ihm fremd geworden, und das soziale Wesen, das er ist, zeigt sich jenseits von Studio und Bühne nur im wiederum musikalischen Spielen mit seiner jüngsten Tochter.
„Music for Black Pigeons“ richtet sich ganz auf die Entstehungsprozesse einer Musik, von der Bro sagt, dass ihre Substanz meist schon im ersten Take da sei und Perfektionierung nur schade. Vor neutralem Hintergrund aufgenommene Statements von Joe Lovano, Bill Frisell oder Thomas Morgan, dem man auch bei der Morgengymnastik zusehen kann, strukturieren das mit großen zeitlichen Sprüngen zusammengesetzte Geschehen zwischen Kopenhagen und New York. In der Art und Weise, wie sie um Worte ringen, sind sie indes alles andere als talking heads. Insbesondere Thomas Morgan, im rhetorischen Zögern ein Bruder von Bill Frisell, ist von einer fast Mitleid erregenden Gehemmtheit, die er erst an seinem Instrument, dem Kontrabass, zugunsten eines flüssigen Spiels ablegt, das gestisch das Bedächtige und Skrupulöse doch nicht völlig loswird.
Stocken und Verstummen
Die filmische Form gehorcht nur auf den ersten Blick einer dokumentarischen Konvention. Das Stockende und Verstummende der Auskünfte – auch ECM-Chef Manfred Eicher verhakt sich in seinem geradebrechten Englisch über die Kunst der Pause – dient vielmehr dazu, den Blick auf die materielle Ereignishaftigkeit und das Drumherum von Jakob Bros Musik zu rechtfertigen.
Das Klicken seiner Effektgeräte, die im Flugzeug schnell hin- und hergereichten Notenskizzen, die Begrüßungsrituale im Studio, Motians geradezu täppische Beckenakzente, Palle Mikkelborgs Trompetenventile, das Stimmen von Midori Takadas Trommelfellen vor dem Auftritt im Berliner Pierre Boulez Saal: Die Kamera beobachtet das alles mit einem Geschick, das im rhythmisierten Schnitt zu spiegeln versucht, was im musikalischen Austausch passiert.
Inmitten der zahlreichen Jazzdokumentationen, die sich einer mal mehr, mal weniger gelungenen Heldenverehrung widmen, einem Gang in die Archive und damit einer Vergangenheit, die so viel größer anmutet als die Gegenwart, ist „Music for Black Pigeons“ eine Rarität. Wer Augen und Ohren für den stillen Geist dieser weitgehend improvisierten Musik hat, wird ihm hier begegnen.