Die in der Vergangenheit versteckte Zukunft

Der Raub von Kulturgütern ist kein reines Phänomen unserer Zeit. Die Kriege im Nahen Osten, in Syrien, im Irak und im Jemen haben es nur wieder im Bewusstsein verankert. Die 13 Stimmen aus der Raubgräberszene, die in „Kulturgutraub“, einem im Auftrag der Staatlichen Museen zu Berlin herausgegebenen Band 32 „Fallbeispiele aus Syrien, Irak, Jemen, Ägypten und Libyen“ dokumentieren geben dennoch einen hervorragenden Einblick in die Strukturen des kriminellen Geschäfts.

[Birthe Hemeier, Isber Sabrine (Hg.): Kulturraub. Fallbeispiele aus Syrien, Irak, Jemen, Ägypten und Libyen. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2021. 330 Seiten, 29 €.]

Die Bestandsaufnahme ist nach Ländern sortiert. Jeweils zu Anfang gibt es einen Überblick über die Lage. Dann berichten Fachleute aus den Antikenverwaltungen und Museen der jeweiligen Länder über ihre Erfahrungen. Breiten Raum nimmt die Darstellung der Situation in Syrien ein, wo der Islamische Staat (IS) besonders zerstörerisch wütet. Zugleich hat er mit den Artefakten schwunghaften Handel betrieben und tut das wahrscheinlich heute noch.

Es gibt nichts, was vor den Räubern sicher wäre. So berichtet ein anonymer Autor, wie historische Wohnhäusern in Aleppo demontiert wurden – kostbar verzierte Wandvertäfelungen aus dem 17. Jahrhundert, wie wir sie aus dem Aleppo-Zimmer im Museum für Islamische Kunst in Berlin kennen. Fotos belegen die barbarische Vorgehensweise der Räuber, die oft in internationalem Auftrag handeln. Viele Artefakte gehen erst nach Libanon oder in die Türkei, bevor sie weltweit angeboten werden.

Ohne Abnehmer keine Nachfrage

Mit dem illegalen Kunsthandel verhält es sich wie im Drogengeschäft: Ohne Abnehmer keine Nachfrage. Hasan Ali, der am Museum von Tadmor, dem antiken Palmyra, gearbeitet hat und seit 2016 „Steward des kulturellen Erbes“ am Deutschen Archäologischen Institut Istanbul ist, dokumentiert in seinem Bericht die Plünderung Museums in der Oasenstadt.

Sein Beitrag ist wie alle anderen mit Objektfotos illustriert, damit Zoll und Sicherheitsbehörden, aber auch die interessierte Öffentlichkeit über die gestohlenen Objekte informiert werden. Von verheerenden Zerstörungen in frühchristlichen Kirchen berichtet Raphaelle Ziadé, vor allem aus dem christlichen Dorf Maalula in Syrien wurden viele Ikonen gestohlen.

Ein besonders dreister Raub war der Angriff auf die Zentralbank von Tripoli 2011, wo über 10 000 Artefakte, meist Münzen, verwahrt wurden. Der Tresorraum wurde aufgebrochen und der „Schatz von Libyen“ gestohlen. Die meisten Objekte waren nicht einmal dokumentiert. Daher ist die digitale Erfassung von Kulturgütern zwingend erforderlich.

Zerstörungen durch Kampfhandlungen sind eine Katastrophe, aber die systematische Plünderung von Kulturgütern, die wie in Dura Europos am Eufrat zum Teil mit Baggern und Bulldozern betrieben wurden, richten noch größere Schäden an: Wichtige Fundzusammenhänge gehen für immer verloren.

Kulturgutraub und Kulturgutzerstörung sind Angriffe auf die Seele einer Nation, denn „im Kulturerbe vereinen sich Traditionen, Weisheiten und der kollektive Sinn einer Gemeinschaft, weshalb es das vereinende Grundelement bildet, das sich aus der gemeinsamen Vergangenheit ergibt“, schreibt Abdul Karim Al-Barkani, der bei der jemenitischen Antikenbehörde den Kulturgutschutz verantwortet.

Verschärfung durch den Bürgerkrieg

Im Jemen begann der Raub von Artefakten schon mit den ersten Reisenden im 19. Jahrhundert. Deshalb erkannte man früh die Gefahr für das kulturelle Erbe und brachte wertvolle Sammlungen in Sicherheit. Der Bürgerkrieg seit 2015 verschärfte die Situation, Museen wurden nach der Restaurierung wieder zerstört, Sammlungen geplündert. Daher ist das digitale AYDA-Denkmalregister des Deutschen Archäologischen Instituts für den Jemen ein ermutigendes Beispiel.

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Der Leser staunt über die Dreistigkeit der Räuber, die gewiss nicht unbemerkt handeln konnten. So wurden in Ägypten aus mamelukischen Moscheen des Mittelalters ganze Minbare (Gebetskanzeln) entwendet. Um dem entgegenzuwirken, wird in einem Projekt jungen Designern und Handwerkern eine Ausbildung angeboten, um im Stil der Mamelukenzeit Neues zu entwerfen, das auf dem Markt eine Chance haben.

„Wir können nicht in die Zukunft schauen, ohne die Vergangenheit zu sehen, denn in der Vergangenheit ist die Zukunft versteckt“ ist ein Spruch des sumerischen Weisheitsgottes ENKI, den Zaid Ghazi Saadallah, Direktor des Museums im irakischen Mosul, in seinem Beitrag zitiert.