Der ewige Funke
Die Drohung, mit der der britische Popsänger Arthur Brown einst unter Gebrüll behauptete, der Gott des Höllenfeuers zu sein und zu dem Zweck auf die Erde gekommen zu sein, die Menschheit das Fürchten zu lehren, konnte 1968 nicht einmal mehr Kinder erschrecken: „Fire, I’ll take you to burn, fire, I’ll take you to learn“. Zur Glanzzeit westlichen Fortschrittsoptimismus galt es als unschick, Respekt vor den Elementen zu zeigen. Ein Wesen, das sich gerade aufmacht, den Mond zu erobern, kuscht vor nichts und niemandem.
Trotz gewisser Schwunderscheinungen in Sachen Fortschrittsglaube gilt das bis heute. Wo man auch hinschaut, scheint das Feuer auf dem Rückzug zu sein. An die Stelle der offenen Flamme ist der Induktionsherd getreten, den Weihnachtsbaum erleuchtet anstelle von Kerzen die LED-Kette, und nicht einmal an Silvester darf mehr befreit geböllert werden.
Geblieben ist dem Feuer zumindest im globalen Norden die Rolle eines Gemütlichkeitserzeugers, der inmitten einer rauchlosen, digital herabgedimmten Umwelt domestiziert vor sich hinknistert. Und doch erwärmt sich die Erde, und Waldbrände verwüsten ganze Regionen. Warum es unklug wäre, das Feuer zu unterschätzen, erklärt Jens Soentgen in seinem jüngsten Buch.
[Jens Soentgen: Pakt mit dem Feuer. Philosophie eines weltverändernden Bundes. Matthes & Seitz, Berlin 2021. 223 Seiten, 22 €.]
Soentgen, wissenschaftlicher Leiter am Wissenschaftszentrum der Universität Augsburg, nähert sich seinem Gegenstand mit der Distanz des Philosophen. Statt über Wasserstände oder Grenzwerte für Verbrennungsmotoren nachzudenken, geht er erst einmal 100 000 Jahre zurück. So lange ist es her, dass die Menschheit lernte, sich das Feuer aktiv zunutze zu machen, für Soentgen die Urszene allen Schaltens, Waltens und Wirtschaftens.
Vom Nomaden zum Souverän
So weit nämlich der Weg auch sein mag, den Homo sapiens vom fellbekleideten Nomaden zum Souverän über ein dahinschwindendes Ressourcenfeld zurückgelegt hat, ein Zündler ist er geblieben: Menschenwerk ist Pyrokultur. Ob gerodet, erschmolzen, verhüttet oder destilliert, ein jegliches Ding wird nach wie vor aus der Natur förmlich herausgebrannt.
Feuer als Universaltechnik: Um diesen Tatbestand herum gruppieren sich Stationen einer zutiefst ambivalenten Beziehung. Schon immer war das Feuer denen, die es begehrten, unheimlich und anziehend zugleich. Es hat kein Leben und ist doch ein Wesen, es vernichtet, tritt aber auch als Schöpfer auf, indem es Stoffe verwandelt.
Als Grundelement menschlichen Handelns bildet es die Basis eines Pakts, der sich zwar gestalten, aber nicht einfach aufkündigen lässt. In dem Sinne ist das Feuer überzeitlich. Verändert hat sich allein der Grad an Beherrschung, mit dem ein zunehmend selbstbewusster Akteur ihm gegenübertritt.
Prometheus musste zur Strafe für seine Entwendung göttlichen Knowhows noch Höllenqualen erleiden. Die spätmittelalterlichen Alchimisten, deren Wirken ausführlich behandelt wird, rückten der Umwelt bereits mit Kolben und Brennern zu Leibe.
Stoff und Rohstoff
Wenn Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, davon spricht, die Welt mit den Augen des Feuers zu betrachten, heiße, sie in ihrem Werden zu beschleunigen, deutet sich darin ein modernes Verständnis von Natur als Stoff und damit Rohstoff an. Erst im industriellen Zeitalter jedoch kehrt das Verhältnis von Ehrfurcht und Unterwerfung sich so weit um, dass buchstäblich kein Element auf dem anderen bleibt.
Mit den bekannten Folgen. Die Industriemoderne mit ihren Dampfrössern und rauchenden Schloten gilt als Höhepunkt eines Herrschaftsverhältnisses, dem in rasender Geschwindigkeit ganze Biotope zum Opfer fallen. Im Zuge ihrer Durchsetzung schließt sie breite Schichten an die Segnungen des Fortschritts an – und ist doch zugleich Zeugnis eines Verdrängungsprozesses: Je offenkundiger die Folgen ungebremsten Raubbaus werden, desto mehr verschließt die Menschheit ob ihres Treibens die Augen.
Dass sie hin und wieder prometheische Scham befällt, hat sich bislang noch immer als vorübergehender Zustand erwiesen. Die nachhaltigste Eigenschaft des Homo cremator ist seine Blindheit.
Und heute? Trotz zahlreich aufpoppender Katastrophenhorizonte scheint der Glaube ans Machbare ungebrochen. Auch der Fabrikruß ist mittlerweile von gestern. Neue, „saubere“ Energien gelten als Krisenbezwinger. Seit eine Zukunftskoalition an der Macht ist, sind Wind und Wasser gar Gegenstand regierungsamtlichen Handelns. Verlockend die Idee, eine karbonfreie Umwelt ließe sich auf rein technischem Wege bewerkstelligen.
Stahlgewinnung in China
Und doch verkalkuliert sich, wer die Rechnung ohne das Feuer macht. Zum einen kann saubere Energie nur so sauber sein wie die in ihnen verbauten Materialien. Zum anderen zeigt bereits ein flüchtiger Blick an die Peripherie, dass der Big burn in Wahrheit unvermindert weitergeht, als forcierte Stahlgewinnung in China, als Brandrodung am Amazonas.
Wer von der Energiewende spricht, darf von der Globalisierung nicht schweigen: Ganz neu sind solche Überlegungen nicht. Selten jedoch wurden sie so überzeugend und forschungsübergreifend formuliert. Ganz im Sinne der Kritischen Theorie versteht Soentgen Zivilisationsgeschichte als Rationalisierungssprozess, in dessen Verlauf eine zu Tode reformierte Natur im Zeichen triumphalen Unheils erstrahlt.
[Die Morgen- und Abendlage, der tägliche Nachrichten-Überblick aus der Hauptstadt – kompakt, schnell und interaktiv. Hier geht es zur Anmeldung]
Ernüchterndes Fazit: Selbst wenn es gelänge, weltweit sämtliche Anstrengungen zur Erreichung der Klimaziele zu bündeln, bleibt die angestrebte 1,5-Grad-Marke angesichts eines steigenden Energiebedarfs illusorisch. Diesen Widerspruch gilt es auszuhalten, statt ihn wegzumoderieren.
Als kritische Bestandsaufnahme liest sich Soentgens kleine Feuerkunde so lehrreich wie spannend. Leider drängt sich auf den letzten Metern doch noch der Prediger im Philosophen nach vorn. Was tun, wenn kein Handeln mehr hilft? Zunächst einmal: ganzheitlich denken. Sodann: Demut an den Tag legen, nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit wirtschaften, auf dass die Natur sich irgendwann renaturiere. Das ist zwar nicht verkehrt, aber als Hoffnungsszenario von allzu frommem Wünschen beseelt. Ohne Wort zum Sonntag wäre man froher aus der Lektüre hervorgegangen.