Post von der Mörderin
Wie viel Applaus haben wir schon den grausamen Frauen gespendet! Den Heldinnen, die Männern den Kopf abschlagen und ihn auf dem Silbertablett servieren, die aus der Verwandtschaft des verhassten Ex ein Häppchen-Menü anrichten, ihre eigenen Kinder töten und skrupellos zum Mord anstiften. Nein, Medea, Salome, Penthesilea, Lady Macbeth und Co werden für ihre Taten nicht vor Gericht gestellt und Justitias blinder Gerechtigkeit übergeben, sondern allabendlich auf den Bühnen dieser Welt gefeiert.
Im sogenannten echten Leben sieht die Sache natürlich ein bisschen anders aus. Da haben Mörderinnen ein gewaltiges Imageproblem, und statt im Scheinwerferlicht zu stehen, werden sie nur vom grellen Blitz des Boulevards ausgeleuchtet – als Monster, Horror-Mutter, Killerin mit eiskaltem Blick.
Das Performance-Kollektiv Markus & Markus – zuletzt mit der ausgezeichneten Produktion „Die Berufung“ auf der Suche nach praktisch anwendbaren Weltverbesserungsideen – hat nun Kontakt aufgenommen zu vier Frauen, die im Gefängnis sitzen, weil sie getötet haben. Über eine Plattform, die Brieffreundschaften mit Insassinnen in den USA anbahnt, haben sie Maureen, Amber, April und Lisa-Jo kennengelernt. Sie alle verbüßen eine lebenslange Haftstrafe, eine von ihnen ist zum Tode verurteilt worden.
Jede 130. Person in den USA ist inhaftiert
Im Unterschied zu Deutschland, wo „lebenslang“ im Durchschnitt einen 23-jährigen Aufenthalt hinter Gittern bedeutet, müssen sie sich darauf einstellen, tatsächlich nie wieder frei zu kommen. Ja, das US-Justizsystem ist ein spezielles. Schon allein, weil in dem Land jede 130. Person inhaftiert ist – während die Statistik bei uns nur jede 1300. zählt. In unverhältnismäßig hoher Zahl verbüßen in den USA zudem Schwarze Menschen Gefängnisstrafen. Um diese „Voreingenommenheit des Systems nicht zu reproduzieren“, wie es heißt, haben Markus & Markus sich weiße Mörderinnen aus Staaten wie Kalifornien oder Mississippi als Brieffreundinnen gewählt.
Im Hochzeitssaal der Sophiensäle, zwischen abstraktem Zellengestänge, Videoleinwänden, Justitia-Projektion und Waagschale, fächern Markus Schäfer und Markus Schmanz als Performer höchst unaufgeregt ihre Korrespondenzen auf. Zwei Wochen waren die Briefe in der Regel nach Übersee unterwegs, wo sie genauestens durchleuchtet wurden. Briefmarken mitzuschicken, war beispielsweise verboten – es könnten ja flüssige Drogen auf die Klebefläche geschmuggelt sein. Viel spektakulärer werden die Geschichten nicht. Wer auf den Thrill der bösen Tat spekuliert, sollte den ungezählten True-Crime-Serien und -Podcasts den Vorzug geben.
„Wünsche sind im Gefängnis sehr gefährlich“
Die Schreiben von Amber, April, Maureen oder Lisa-Jo, die stets mit einer Songzeile als Zitat schließt („Everybody was Kung Fu fighting“), erzählen von Quarantäne und Kälte in der Vier-Personen-Zelle, von einem Baum, der durchs Gitter zu sehen ist, von Sonnenuntergängen, täglichen Routinen und Momenten der Verzweiflung. Manchmal bitten die Frauen um die Bestellung eines Buchs, oder von koscherem Essen. Weiter reichen die Bedürfnisse nicht. „Wünsche“, schreibt eine, „sind im Gefängnis sehr gefährlich“.
Ja, in kurzen Einblendungen erfährt man auch, weswegen die vier verurteilt wurden. Da geht es um tote Mütter, Leichen in Gefriertruhen, viele Messerstiche und Pistolenschüsse. Sachliche Zusammenfassungen des schwer Vorstellbaren. Aber „Die Brieffreundschaft“ (nächsten Vorstellungen: 12. und 13. November um 19.30 Uhr) zielt eben genau darauf, dass jede und jeder eine zweite Chance verdient hat.
Dass es keine „unmenschlichen Taten“ gibt. Denn am Ende werden sie ja doch von Menschen begangen. Eine der Frauen erzählt dass sie für ihr Gnadengesuch 20 eng beschriebene Seiten zu Papier gebracht hat, um den verübten Mord aus heutiger Sicht zu reflektieren. Nur auf die Frage, weshalb ihr Gnade zuteil werden solle, fiel ihr keine einzige Zeile ein.