Den Makel der Fahrlässigkeit wird die Fifteen nicht mehr los
Das Bild ist weg und alle Fragen offen. Einen Tag, nachdem das 10 mal 10 Meter große Banner des indonesischen Kollektivs Taring Padi mit antisemitischen Darstellungen vom Friedrichsplatz in Kassel geräumt wurde, scheint die Documenta in einen Zustand der Paralyse verfallen zu sein, nachdem sie sich nur zu einem dürren Statement durchgerungen hatte.
Doch der Skandal bebt nach. Der Ruf nach Absetzung zumindest der Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann erschallt laut, weil sie ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen ist. Ihre flaue Erklärung, das Plakat sei nicht für die Documenta fifteen konzipiert gewesen, sondern im Konzept der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden und nun erstmals in Europa gezeigt, macht die antisemitischen Darstellungen nicht weniger skandalös.
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Was heiter begann und noch bei der Eröffnung als medial aufoktroyierte Debatte weggedrückt werden sollte, ist implodiert. Den Makel der Fahrlässigkeit, den Stempel des Antisemitismus wird diese Documenta nicht mehr los. Schon soll an den Strukturen der Schau geschraubt werden, die seit ihrer Gründung 1955 zur international wichtigsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst avancierte.
Dass ein Kollektiv die Leitung übertragen bekam, habe die Dynamik unkontrollierbar gemacht, heißt es nun. Dass es aus Indonesien stammt, würde seine mangelnde Sensibilität für den deutschen Kontext erklären. Folgt daraus, dass künftig keine Kollektive mehr und nur noch ausreichend westlich sozialisierte Kurator:innen als Documenta-Macher berufen werden? Wohl kaum.
Jan Hoet machte die Documenta zum Happening
Seit der Belgier Jan Hoet die Documenta IX drei Jahre nach dem Mauerfall zu einem Happening machte, bei dem der Amateurboxer selbst in den Ring stieg, ist die Institution immer wieder in Frage gestellt worden. Einen Aufschrei löste die darauffolgende Documenta der Französin Catherine David aus – erstmalig wurde die Schau von einer Frau kuratiert, die auch noch den Blick in die arabischen Länder öffnete. Im Nachhinein erwies sich ihre Ausgabe als eine der wichtigsten und bahnbrechend für den dringend benötigten Perspektivwechsel des weiterhin auf sich selbst fokussierten westlichen Kunstbetriebs.
Okwui Enwezor stieß mit der Documenta elf die Tür nach Afrika auf, Roger Buergel und seine Frau Ruth Noack holten mit der zwölften Ausgabe Südamerika herein. Carolyn Christov-Bakargiev versuchte für alle Lebewesen, selbst die Pflanzen zu sensibilisieren, Adam Szymczyk die Documenta durch Verteilung auf Kassel und Athen aus dem Korsett des hessischen Settings zu befreien, um globale Relevanz zu gewinnen.
Mit Ruangrupa sollten die Länder Asiens stärker einbezogen werden
Die Einladung an Ruangrupa war der logische nächste Schritt, um die asiatischen Länder einzubeziehen, eine andere künstlerische Praxis auch auf einer Traditionsveranstaltung wie der Documenta auszuprobieren und den postkolonialen Diskurs voranzutreiben.
Immer gab es Vorwürfe, Verrisse. Das Millionenloch im Budget der letzten Documenta löste ebenfalls Grundsatzfragen aus. Die damalige Geschäftsführerin musste vorzeitig gehen. Das Debakel um Ruangrupa hat allerdings eine andere Dimension erreicht. Der Soziologe Heinz Bude nennt es „die größte Beschädigung der Marke Documenta seit ihrem Bestehen“.
Auch die Findungskommission trägt Verantwortung
Wie es weitergeht? Vermutlich wie immer. Eine Findungskommission für die nächste Leitung muss berufen werden, die den nächsten Documenta-Macher, die nächste Macherin kürt. Mit jeder der letzten Documentas soll es schwieriger geworden sein, die acht Mitglieder für die Kommission zu benennen. Denn ihre Verantwortung wiegt mindestens ebenso schwer.