Barenboim überrascht schon wieder

Konzertsäle sind Sakralbauten der Moderne. Selbst in einem so demokratisch inspirierten Architekturwunder wie dem spiegeleiförmigen Pierre Boulez Saal können manchmal Engel durch den Raum gehen. Sogar, wenn er halbleer ist. Denn das Publikum machte sich rar, wie zur Zeit leider fast überall. Ursprünglich war dieser Abend geplant gewesen als Beethoven-Recital. Daniel Barenboim wollte zum Besten der UNO-Flüchtlingshilfe e.V. konzertieren. Doch gleich zweimal wurde das Programm gekippt. Erst untersagten Barenboims Ärzte den Auftritt, dann sprang Barenboims Sohn, der Geiger Michael Barenboim, ein, samt etlichen Musikern des Divan-Orchesters.

So begann das Benefiz, sommerwindtrunken, mit dem c-moll-Satz für Streichquartett von Anton Webern. Barenboim junior musizierte, als Primarius, diese entschieden rückwärts-gewandte Musik mit großem Ton, süßen Portamenti. Gleichfalls ganz im Sinne der alten Schule gestaltete Katrin Spiegel beeindruckend die Partie der Bratsche. Samir Obaido und Assif Binness fügten sich ins Klangbild.

Daniel und Michael Barenboim beim Schlussapplaus.Foto: Peter Adamik

Ein Grußwort von Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, vorgetragen von seiner Assistentin Gillian Triggs, bat um die Kollekte, auch die neue Rektorin der Barenboim- Said-Akademie, Regula Rapp, erinnerte an die Pflicht zur Solidarität mit den mehr 100 Millionen Menschen, die zur Zeit weltweit auf der Flucht sind. In Mozarts Klarinettenquintett kultivierte Jussef Eisa einen sehr schön eingedunkelten Chalumeau-Ton, doch agierte er durchwegs als Solist. Dass das Streichquartett weit mehr ist als nur Begleitcombo der Klarinette, musste Michael Barenboim immer wieder neu durchsetzen.

Alsdann, nach der Pause: die zweite Programmänderung. Statt Mendelssohns Oktett kam das große Es-Dur-Quintett Schumanns zu Gehör, mit dem komplex verschachtelten Trauermarsch im zweiten Satz – und mit Daniel Barenboim, am Flügel. Nachdem ihm ärztlicherseits ein Dirigierauftritt open air erlaubt worden war, hatte der Maestro, neue Kraft fühlend, in letzter Sekunde beschlossen, er wolle doch auch selbst wieder auftreten als Pianist. Das sieht ihm ähnlich: Überraschungsgast im eigenen Konzert!

Man hatte offenkundig intensiv geprobt: Altmodisch moderat in den Tempi, symbiotisch im Zusammenspiel, romantisch im Klangbild, lupenrein in der legatosatten Lesart, mit feuerglänzenden Aufgipfelungen: Es war ein Fest und eine Lust. Die Streicher kreisten den Flügel ein, auf den primus inter pares fokussiert. Der gab eine Spur zuviel Pedal. Und ließ sich feiern. Eleonore Büning